© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Mit Moral modisch verpackt
Doppelt verkannte „Königskinder“: Humperdincks musikdramatisches Märchen erfährt an der Dresdner Semperoper eine unangemessene Aktualisierung
Sebastian Hennig

In der Opernfassung von 1910 sind Engelbert Humperdincks „Königskinder“ in Dresden auf die Bühne gekommen. Mit diesem selten aufgeführten Werk wollte Humperdinck an seinen volkstümlichen Erfolg mit „Hänsel und Gretel“ anknüpfen und ihn zur großen Tragödie ausbauen.

Die Geschichte ist düster bis tiefdunkel. Die edle Abkunft der Königstochter als Gänsemagd und des Prinzen als Schweinehirt wird von den satten Stadtbürgern grausam verkannt. Die Edlen finden einen elenden Tod. Anders als im Schlußakt von Wagners „Parsifal“ taut ihnen kein Karfreitagswunder die frostige Erstarrung der winterlichen Landschaft. Auch wird ihr Liebestod nicht von eigener Leidenschaft bewirkt, wie bei „Tristan und Isolde“. Sie tötet die gewaltsame Ausgrenzung von der Gemeinschaft, der sie dienen wollen. Daß dieses Ende wohl gnadenlos, doch nicht hoffnungslos bleibt, bewirken allein die Kinder der Stadt. Mit dem Spielmann als Anführer und Botschafter bewahren sie das Andenken an die Königskinder. Und in Dresden retten sie beinahe auch die Inszenierung.

Es gibt, wie in anderen Märchenopern Humperdincks, volkstümliche Lieder-Miniaturen. Die Kinder tollen: „Ri ra ro, nun sind wir alle froh!“ Auch der Spielmann erscheint mit Sang auf den Lippen: „Drei Narren zogen aus, um zu suchen ein Hahnenei. Hei! Hei! Tandaradei!“ Die Dresdner Staatskapelle unter dem estnischen Dirigenten Mikhel Kütson zeigt, welcher Reiz dieser Musik innewohnt. Am stärksten kommt das in den instrumentalen Passagen zum Ausdruck. Besonders das furios volkstümliche Vorspiel zum zweiten Akt ist voller Anmut und Kraft. Doch diesen Geist kann sich die Inszenierung auf die Länge nicht bewahren. Das schlichte Märchen vermag jedes Publikum auf verschiedenen Wegen zur gleichen wahren Empfindung zu führen. Schlicht und primitiv sind aber zwei verschiedene Dinge, ebenso wie mehrdeutig und beliebig. Die geheimnisvolle Wahrheit einfach geschehen zu lassen, erfordert den größten Mut. Diese Inszenierung bringt ihn nicht auf. Sie zerhaut mit der schwerfälligen Moral ein ganzes Gespinst an Bedeutungen. Den Märchenkram glaubt sie als modische Verpackung ganz beiseite lassen zu können.

Das Libretto wurde Humperdinck durch den befreundeten Wagner-Apologeten Heinrich Porges ans Herz gelegt, dessen Tochter Elsa Bernstein es verfaßt hatte. Regisseurin Jetske Mijnssen gründet ihre Inszenierung nun auf dem nachträglich hergestellten Zusammenhang des Märchendramas mit dem späteren Schicksal der Autorin als Deportierte in Theresienstadt. Damit werden viele Feinheiten der Handlung unterschlagen und die Bewohner der Märchenstadt Hellabrunn schlichtweg zum dumpfen Tätervolk gemacht. Statt echter Tragik herrscht ein wahres Grauen. Unangemessene Aktualisierung und psychologische Zerfahrenheit durchkreuzen die ursprüngliche Aussage auf zweierlei Weise. Robuste Naturen können nun mit der Empörung über fremde Hartherzigkeit die eigene Gefühlskälte anheizen und gleichen damit paradoxerweise jenen Bürgern von Hellabrunn, welche die Königskinder darum vertreiben, weil sie diese in anderer Gestalt erwarten. Der feiner empfindende Zuschauer ist verloren, wenn die plattgewalzte einseitige Botschaft ihn gegen die subtileren Mitteilungen des Werks verhärtet.

Märchen werden heute für Kinderliteratur gehalten und darum meist in geglätteten Bearbeitungen vorgelesen. Den Kindern sollen die tiefschwarzen Züge und die Bitterkeit nicht mehr zugemutet werden. Hier wurde nun das dunkle Verhängnis von jeder Tröstlichkeit befreit. Was an Märchenhaftem übrigbleibt, wird in tiefenpsychologischer Spekulation ertränkt. Das Bühnenbild von Christian Schmidt ist einfach nur langweilig. Stets ist ein Treppenhaus zu sehen, ganz gleich ob in Hellawald oder Hellastadt. Die Natur wird besungen, aber sichtbar höchstens einmal durch das Fenster. Bühnenbild und Kostüm zitieren die Mode der dreißiger Jahre.

Wenngleich auf eindeutigere politische Symbole verzichtet wird, so ist doch das Stück bereits im Kern beschädigt durch die ganz unmärchenhafte Inszenierung. Die widerspricht zudem ihrer eigenen Logik. Wenn die Hexe das Volk warnt: „Ihr sucht einen König? Fürchtet ihn!“, dann will sie diesem Angst vor der Unterwerfung unter den legitimen Herrscher einjagen, keineswegs vor einer Diktatur bewahren. Ohne Zweifel führen sich die Bürger von Hellabrunn im zweiten Akt in Erwartung des verheißenen Königs mehr fürchterlich als ehrfürchtig auf.

Die Fabel sollte gerade dem heutigen Publikum zu denken geben. Neuere Untersuchungen gestehen dem Kaisertum Wilhelms II. zu, die demokratischste Monarchie Europas gewesen zu sein. Daß die NS-Diktatur geradewegs aus seiner autoritären Monarchie entstanden wäre, mit diesem falschen Gedanken spielt die Inszenierung. „Königskinder“ handelt von der Verwirrung eines entfesselten materialistischen Mobs. Der Text von Elsa Bernstein zeigt, daß man sich der Fragilität der Monarchie seinerzeit bewußt war. Etwas mehr an zarter Trauer um Verlorenes hätte der Inszenierung dieses melodramatischen Märchens besser angestanden. Schöne Anklänge daran geben Christoph Pohl als Spielmann, sein kindlicher Begleiter, der Kruzianer Georg Bartsch und die Schar des Kinderchors.

Die nächsten„Königskinder“-Vorstellungen in der Semperoper Dresden, Theaterplatz 2, finden am 17. und 25. Januar statt. Kartentelefon: 0351 / 49 11-705

www.semperoper.de

Foto: Gänsemagd (Barbara Senator) und Königssohn (Tomislav Mužek): Unmärchenhafte Inszenierung

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen