© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Die Aussichten trüben sich ein
Islam: Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung beschreibt das vielschichtige Verhältnis von Moslems und Mehrheitsbevölkerung in Deutschland
Christian Schreiber

Zeitgleich mit den Terroranschlägen in Paris und der neu entfachten Diskussion über eine Islamisierung Deutschlands (siehe Seite 7) hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie über die Wahrnehmung des Islam in Deutschland veröffentlicht. Bereits 2012 hatte das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag der Stiftung in 13 Ländern den sogenannten Religionsmonitor erhoben. Diese Daten wurden durch eine gezielte Umfrage im November 2014 aktualisiert. Das Ergebnis: Die Muslime fühlen sich in Deutschland heimischer als gedacht.

Gleichzeitig wachsen aber in der Bevölkerung die Vorbehalte gegenüber dem Islam. Die Studie zeigt eine starke Verbundenheit der Muslime mit Staat und Gesellschaft. 90 Prozent der tiefreligiösen Muslime halten die Demokratie für eine gute Regierungsform. Neun von zehn Befragten haben in ihrer Freizeit Kontakte zu Nichtmuslimen. Jeder zweite hat sogar mindestens genauso viele Kontakte außerhalb seiner Religionsgemeinschaft wie mit Muslimen. Die Furcht vor Parallelgesellschaften lasse sich anhand der Daten somit nicht belegen, erklären die Autoren der Studie.

Die Muslime, die derzeit die zweitgrößte Religionsgruppe in der Bundesrepublik darstellen, sind deutlich frommer als Angehörige anderer Religionen in Deutschland. Ihre religiöse Bindung bleibe über die Generationen hinweg stabil, die Werthaltungen seien jedoch liberaler als häufig angenommen.

Zum Überdenken der Glaubensinhalte gezwungen

Die Autoren erklären dies mit der Lebensrealität der Moslems, sich in Deutschland mit Menschen anderen Glaubens auseinanderzusetzen. Dies führe zu einer größeren Selbstreflexion: „Vor allem hochreligiöse Muslime überdenken häufig Glaubensinhalte. Als Minderheit in einer religiös pluralen Gesellschaft ist die Zugehörigkeit zum Islam nicht selbstverständlich, sondern eine Alternative unter vielen.“ Diese Wahl erfordere somit ein Maß an Vergewisserung. Anders sei es in Ländern, in denen Muslime die Mehrheit stellen und es mehr oder weniger normal sei, gläubig zu sein: „Entsprechend denken Muslime in einer Mehrheitssituation wie beispielsweise der Türkei wesentlich seltener über Glaubensinhalte nach.“

Generell seien die Muslime deutlich religiöser als die deutschen Christen. Dies betrifft vor allem die Sunniten, die stärkste Glaubensrichtung innerhalb des Islams. Rund die Hälfte von ihnen sei hochreligiös, allerdings nehme diese Einstellung mit zunehmendem Alter mehr und mehr ab. Trotz ihrer starken Glaubensbindung seien sie aber in gesellschaftlichen Fragen wie der Akzeptanz homosexueller Partnerschaften deutlich liberaler als die Gläubigen in der Türkei. Nach der Studie stimmen rund 60 Prozent der in Deutschland lebenden Sunniten einer „Homo-Ehe“ zu: „Von den hochreligiösen Muslimen, die ihre Glaubensgrundsätze selten hinterfragen, tun dies immerhin noch 40 Prozent.“ In der Türkei hingegen, dem Hauptherkunftsland der Muslime in Deutschland, habe dagegen nur jeder dritte hochreligiöse Moslem angegeben, seinen Glauben regelmäßig zu überdenken. Gleichgeschlechtliche Ehen haben dort lediglich zwölf Prozent der Hochreligiösen befürwortet.

Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft

Trotz dieser Liberalisierungstendenzen unter den Muslimen habe sich die Stimmung in der Bevölkerung deutlich verschlechtert. Demnach lehne die deutsche Mehrheitsbevölkerung Muslime und den Islam zunehmend ab: „Über die Hälfte der Bevölkerung nimmt den Islam als Bedrohung wahr, und ein noch höherer Anteil ist der Ansicht, daß der Islam nicht in die westliche Welt paßt“, heißt es. Diese Ablehnung des Islams habe in den vergangenen zwei Jahren noch deutlich zugenommen. Fast jeder zweite der Befragten fühlt sich durch Muslime wie ein Fremder im eigenen Land. Ein Überfremdungsgefühl sei auch in Gebieten, in denen kaum Muslime wohnen, bei rund 40 Prozent der Bevölkerung verbreitet. Dies gelte vor allem für die östlichen Bundesländer. Generell sei die Ablehnung auch eine Generationenfrage. Ältere Deutsche hätten weitaus weniger Kontakte zu Muslimen als unter Dreißigjährige. Je mehr Austausch zwischen den Religionen stattfinde, desto geringer seien am Ende auch die Vorbehalte: „Die Ablehnung des Islams ist besonders in den Regionen Deutschlands stark ausgeprägt, wo kaum Muslime leben – wie beispielsweise in Sachsen. In Nordrhein- Westfalen, wo ein Drittel aller Muslime zu Hause ist, wird der Islam hingegen als weniger bedrohlich empfunden“, schreiben die Autoren. Quer durch alle Bevölkerungsschichten bleibe die Tatsache, daß der Islam als fremd empfunden werde, bestehen: „Diese Einschätzungen finden sich keineswegs nur am Rand der Gesellschaft. Weder die politische Orientierung, das Bildungsniveau noch der Sozialstatus beeinflussen das Islambild der Deutschen nennenswert.“

Für das Zusammenleben seien diese Vorbehalte schwierig. Die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft sei nicht zu unterschätzen. Und: Die Autoren sehen auch „die Gefahr, daß diese Stimmungen einen Nährboden für rechtspopulistische Einstellungen und Parteien bilden können“.

Foto: Moslems in Deutschland: Viele sind liberaler als in ihrem Herkunftsland

 

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