© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Amateure unter sich
AfD: Der Streit über die künftige Führungsstruktur bringt die Euro-Kritiker unmittelbar vor dem Parteitag in Bremen an den Rand der Spaltung
Marcus Schmidt

Es läuft richtig gut für die AfD. Die Rückkehr der Eurokrise hat die Forderung der Partei nach einem Austritt Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung in Berliner Regierungskreisen salonfähig gemacht. Doch nicht aus diesem Grund sorgte die AfD in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen und schaffte es am Sonntag sogar als erste Meldung in der Tagesschau.

Wenige Woche vor dem dritten Bundesparteitag der AfD in Bremen Ende Januar ist der seit Monaten schwelende Streit um die neue Bundessatzung dermaßen außer Kontrolle geraten, daß selbst ein Schiffbruch der Partei nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Tiefpunkt der Auseinandersetzung war kurz nach Weihnachten eine E-Mail von Parteivize Hans-Olaf Henkel an AfD-Sprecher Konrad Adam, in der der frühere BDI-Präsident seinem Parteifreund eine „dramatische Persönlichkeitsveränderung“ unterstellte und seiner Hoffnung Ausdruck gab, Adam möge bald „von der Bühne“ treten. Damit hatte die Auseinandersetzung ein Niveau erreicht, das viele Mitglieder nur noch mit Kopfschütteln quittierten.

Im Kern geht es bei dem Streit in der AfD um die Frage, ob Bernd Lucke die Partei künftig allein führen kann oder ob die derzeitige Dreierspitze beibehalten wird. Doch dahinter steht längst auch die Frage, wie sich die Partei künftig inhaltlich positionieren wird. Die Ausgangslage ist eindeutig. Während Lucke die alleinige Parteiführung anstrebt und dabei unter anderem von Henkel unterstützt wird, plädieren Luckes Kosprecher Frauke Petry, Konrad Adam und Parteivize Alexander Gauland dafür, an der Dreierspitze festzuhalten. „Wir sehen es nicht ein, die Spitze zu verengen, während sich die Basis der Partei verbreitert“, argumentiert Gauland. Dahinter stehe auch die Sorge, daß Lucke als alleiniger Vorsitzender die Partei thematisch wieder auf das Euro-Thema verengen könnte. Themen, mit denen die Partei gerade bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erfolgreich war, wie etwa die Frage der Zuwanderung oder der Grenzkriminalität, könnten so wieder an den Rand gedrängt werden. Gleiches gilt für die vorsichtige Annäherung an die Pegida-Bewegung, die vor allem von Gauland und Petry betrieben wird. Gauland jedenfalls ist sich sicher, daß vor allem inhaltliche Überlegungen hinter Luckes Vorhaben stehen. „Ich kann mir kein anderes Motiv vorstellen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT.

Schlammschlacht sorgt für verheerendes Bild

Das Lucke-Lager verweist dagegen darauf, daß mittlerweile die meisten Landesverbände der AfD die Dreierspitze aus guten Gründen abgeschafft haben. Dazu zählten auch Sachsen und Brandenburg, die von Petry und Gauland geführt werden. Petry wird bei ihrer Arbeit zudem, wie auch von Lucke für die Bundespartei geplant, von einem Generalsekretär unterstützt, wie ihr in der vergangenen Woche der ehemalige AfD-Chef in Hessen, Gunther Nickel, vorhielt. „Können Sie nun aber erklären, warum das, was für einen Landesverband des Freistaates Sachsen gut ist, es für den Bundesvorstand nicht sein soll?“ schrieb Nickel, der als Gefolgsmann Luckes gilt und intern auch schon für das Amt des Generalsekretärs gehandelt wurde, in einem offenen Brief an Petry. Diese widersprach umgehend. „Der Generalsekretär in Sachsen hat, anders als im Satzungsentwurf für die Bundespartei vorgesehen, volles Stimmrecht im Vorstand.“ Er sei so ein echtes Gegengewicht und nicht nur ein Erfüllungsgehilfe des Vorsitzenden.

Über die Feiertage hatte sich die Situation dramatisch zugespitzt. Nachdem Lucke am Vorstand und der Bundesgeschäftstelle vorbei am zweiten Weihnachtsfeiertag eigenmächtig alle Kreis- Bezirks- und Landesvorsitzenden für den 18. Januar nach Frankfurt am Main zu einer vorbereitenden Konferenz für den Parteitag eingeladen hatte, zogen seine Gegner im Satzungsstreit die Notbremse. In einem beispiellosen Akt luden Petry, Adam, Gauland sowie die beiden Europaabgeordneten Beatrix von Storch und Marcus Pretzell Lucke für den Tag der von ihm geplanten Konferenz ebenfalls in Frankfurt zu einem „offenen und ehrlichen Gespräch“ ein. Um neun Uhr, drei Stunden vor Beginn des Kongresses. „Wir sind in großer Sorge um unsere junge Partei“, heißt es in dem Brief zur Begründung. Zur Vorbereitung des wichtigen Parteitages seien „keine Alleingänge, sondern Team-Arbeit“ notwendig. Henkel kritisierte das Schreiben an Lucke im ZDF scharf. Es sprenge alles, was er bisher gewohnt sei, sagte der AfD-Vize. In Parteikreisen wird allerdings darauf verwiesen, daß der Brandbrief noch sehr zurückhaltend formuliert sei. Die Stimmung unter den Unterzeichnern hätte auch eine viel schärfere Tonlage gerechtfertigt. In der Öffentlichkeit hinterließ die auf offener Bühne ausgetragene Schlammschlacht dennoch ein verheerendes Bild und wirkte auf viele Beobachter amateurhaft.

In der AfD wird nun gerätselt, was Lucke, der sich in der Sache derzeit nicht öffentlich äußern will, zu seinem plötzlichen Vorstoß bewogen hat. Die naheliegende Erklärung: Er sieht seine Chancen, die von ihm gewünschten Änderungen an der AfD-Spitze auf dem Parteitag in Bremen durchzusetzen, zunehmend schwinden. Nötig ist dafür eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder. Derzeit gilt es als sehr unwahrscheinlich, daß Lucke dies gelingt. Das von ihm initiierte Funktionärstreffen wird demnach als letzter Rettungsversuch gesehen, die Stimmung vor dem Parteitag doch noch zu drehen. Es habe den Anschein, heißt es in dem Brandbrief an Lucke, „als solle dort nicht offen diskutiert, sondern die Funktionsträger der Partei ‘auf Linie’ gebracht werden“.

Daß Lucke quasi mit der Brechstange versuche, seine Vorstellungen durchzusetzen und dafür auch eine Spaltung des Vorstandes in Kauf nehme, zeige wie wichtig ihm die Satzungsänderung sei, heißt es in der Partei. Die Ursache für dieses Vorgehen sehen Parteifreunde in Luckes Persönlichkeit angelegt. Dieser wolle alles alleine machen und könne nicht delegieren. Der AfD-Chef hat diese Vorwürfe in der Vergangenheit stets zurückgewiesen. Ihm gehe es bei der Satzungsänderung nur um eine notwendige Straffung der Führungsstruktur, wie es sie auch in anderen Parteien gebe. Angesichts der Arbeitsbelastung als Europaabgeordneter erfordere die Abstimmung mit seinen Kosprechern zuviel Zeit. Seine Widersacher verweisen indes darauf, daß Lucke den Plan für die Einzelspitze bereits vorgelegt habe, als er noch gar nicht Abgeordneter gewesen sei.

Anfang der Woche gelang es der Parteiführung, den Streit vorerst wieder in geregelte Bahnen zu lenken. „Wir sind am Montag in einer Telefonkonferenz zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückgekehrt und haben einen Gesprächstermin vereinbart“, sagte Petry der JUNGEN FREIHEIT. „Beide Seiten wollen miteinander sprechen. Das stimmt mich positiv.“ Hinter den Kulissen wird bereits seit Tagen versucht, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. „Wir wollen nicht, daß sich die Partei an dieser Stelle zerlegt“, versichert Gauland.

„Wir sehen die Entwicklung mit großer Sorge“

Doch mehr als ein zeitlich begrenzter Burgfrieden wird dabei kaum herauskommen. Möglich wäre beispielsweise, den Übergang zu der von Lucke geforderten Führungsstruktur zeitlich zu strecken. Oder aber über einen Geschäftsverteilungsplan die künftigen Stellvertreter Luckes an der Parteispitze mit klar definierten Aufgabenbereichen auszustatten – und so die Macht des Vorsitzenden zu begrenzen.

In der Partei wächst unterdessen die Unruhe. „Wir sehen die Entwicklung mit großer Sorge“, sagte der scheidende Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, Philipp Ritz. „Unsere Inhalte und die Partei sollten im Vordergrund stehen. Ränkespiele werden weder vom Wähler noch von den Mitgliedern honoriert.“

Eines machten alle Kontrahenten in der aktuellen Auseinandersetzung um die Satzung deutlich: Bernd Lucke soll auch in Zukunft an der Spitze der AfD stehen. Nach dem Willen von Petry, Adam und Gauland aber eben nicht alleine. Den ganz großen Krach in Bremen wollen aber alle vermeiden. „Wir wollen nicht riskieren, daß Lucke hinschmeißt“, sagte Gauland.

Foto: Adam, Petry, Lucke und Gauland (v.l.n.r.) auf dem ersten Bundesparteitag der AfD am 14. April 2013 in Berlin: „Wir wollen nicht riskieren, daß Lucke hinschmeißt“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen