© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Über die hohe Kunst des Aneinandervorbeigehens
Brot und Milch in Jerusalem: Der Journalist Wolfgang Büscher flaniert durch die heilige Stadt dreier Weltreligionen
Sebastian Hennig

Bei der Anreise erscheint ihm Jerusalem in einem unheilverkündenden Licht. „Wo hatte ich dieses Licht schon einmal gesehen, diesen schwefligen Vorschein der Gefahr? Plötzlich wußte ich es – auf Bildern, die nichts Gutes verheißen. Es gab Maler, die dieses Licht kannten.“ Wolfgang Büscher erweist sich in seinem neuen Buch selbst als ein veritabler Maler. Neben Anekdoten sind es vor allem die locker hingetuschten Impressionen, die „Ein Frühling in Jerusalem“ so lesefreundlich machen. Dahinter scheint immer wieder die ewige Tatsache auf, daß Jerusalem für den größten Teil der Menschheit der Ort eines heiligen Ursprungs ist.

Noch ein anderes Bild trägt Büscher mit sich herum. Vor Jahren blickte er im jüdischen Viertel durch ein Fenster auf einen in Erwartung der Speisenden gedeckten Tisch. Der passende Rahmen für dieses Bild ist verloren, im schlimmsten Fall sogar zerbrochen. „Einige Male ging mein Puls schneller, dann glaubte ich, es gefunden zu haben, aber jedesmal irrte ich mich und gab die Suche auf, für diesen Abend und schließlich ganz. Hier wird viel gebaut, sagte ich mir, dein Fenster gibt es nicht mehr.“

Das christliche Herz schlägt im orientalischen Körper

Der diskrete wie höfliche Flaneur wohnt zwei Monate in der Altstadt, erst in einem heruntergekommenen Hotel, dessen Raum er mit einer steinernen Grabkammer vergleicht. Dann wechselt er in einen Konvent aus der Zeit der Kreuzritter, ein festungsartig in sich geschlossenes griechisches Dorf. Der Blick von oben auf das uralte Muster der Gassen und Kuppeln zeigt: „Das christliche Herz Jerusalems schlägt in einem orientalischen Körper.“

Er sieht die Farbe der Wüste in einem bestimmten Licht über der Stadt liegen und bezeichnet Jerusalem als eine orientalische Frau, die ihre Schönheit nicht jedem zur Schau stellt. Während die jüdischen Beter am „Superfreitag“ an der Mauer murmeln, erhebt sich auf dem Tempelberg darüber „wie das Gesumm einer ungeheuer großen Bienenwolke“ das Freitagsgebet der Muslime. Büscher ahnt, daß diese „hohe Kunst des Aneinandervorbeigehens, die schöne Jerusalemer Ignoranz“, ehrwürdiger ist als die Auslöschung der Gegensätze in der Weltoffenheit, wie sie die westliche Welt propagiert. Seit Jahrhunderten birgt Jerusalem eine gefährdete Überfülle. Statt sich in Kriegsvermeidung zu üben, wird hier Friedensbewahrung gewagt. Büscher malt auch dazu das überzeugende Bild: „Ein Frieden freilich, so sicher wie ein randvolles Glas Milch in der Hand eines dreijährigen Kindes.“

Büscher wechselt nicht die Perspektiven, um seine Blickrichtung nach dem jeweiligen Gesprächspartner auszurichten. Er versucht einfach so zu sein wie das Licht, das über die vergoldete Kuppel des Felsendoms, die riesigen Quader der Klagemauer ebenso hinwegstreicht wie über das Katholikon der Grabeskirche. Wenn es sein muß, läßt er sich auch beschimpfen. Sein Staunen ist um einiges größer als seine Empfindlichkeit, wenn ihn der Führer der Siedler nach wenigen Sekunden eines Verhörs über das Telefon anbellt. Besonders bei seinen Gesprächen mit den Abkömmlingen alter armenischer und griechischer Familien wird nur zu deutlich, wieviel Milch schon verschüttet wurde.

An anderer Stelle vergleicht Wolfgang Büscher Jerusalem mit einem Brot, „gebacken nach uraltem Rezept, gewürzt mit Geschichten, Geheimnissen, Prophetien – lange geknetet und in den Jahrtausendofen geschoben“. Einen Frühling lang hat er von Milch und Brot gekostet. Nun kann er seinerseits den Leser füttern, weil er ein guter Zuhörer und ein vorbehaltloser Zuschauer war.

Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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