© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Nach uns die Sintflut
Der ehemalige WDR-Journalist Sven Kuntze rechnet mit seiner „schamlosen“ Generation ab
Jörg Fischer

Vor sieben Jahren verabschiedete sich der WDR-Journalist Sven Kuntze mit 65 in den üppig alimentierten Ruhestand. Danach habe er „ein Jahr gar nichts getan. Das war eine Superzeit“, bekannte er freimütig in der Rheinischen Post. Doch das Rentnerdasein offenbarte bald seine Schattenseiten: „Man sieht nicht mehr so gut, die Treppen werden steiler, die Einkaufstüte wird schwerer.“ Was besonders bitter für einen ist, der dafür bekannt war, daß sich vorzugsweise zwei Jahrzehnte jüngere Lebensabschnittsgefährtinnen an seiner Seite befanden. Kuntze machte allerdings aus der Not eine Tugend und widmet sich journalistisch dem Thema Altern. Für die ARD-Reportage „Alt sein auf Probe“ lebte er neun Wochen lang in einem Kölner Seniorenheim. Sein Buch „Altern wie ein Gentleman: Zwischen Müßiggang und Engagement“ erklamm 2011 die Spiegel-Bestsellerliste.

In seinem neuen Buch „Die schamlose Generation – Wie wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel ruinieren“ kritisiert Kuntze speziell „seine“ Generation – die westdeutschen Achtundsechziger. Der 1942 in Straßburg geborene Kuntze nennt die zwischen 1940 und 1955 Geborenen auch in seinem neuen Buch jedoch immer nur die „Vierziger“. Vielleicht weil er selbst ein typischer „68er“ war: In einer bürgerlichen Familie im württembergischen Reutlingen aufgewachsen, studierte er in Tübingen Soziologie, Psychologie und Geschichte. Er wird vom SPD-Wähler zum Marxisten und schließlich Mitglied der kommunistischen Splitterpartei KPD/ML-ZB – bis zu ihrer Auflösung: „Wir wurden damals von den Trotzkisten unterwandert“, erinnert sich Kuntze.

Erstaunliche Geduld der Wähler über das Versagen

Seinem Marsch durch die Institutionen stand das nicht im Wege – weder als Assistent an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Uni Tübingen noch ab 1983 als Angestellter des ARD-Hauptstadtstudios Bonn. „Frisch aus der Kaderpartei zum Fernsehen“, scherzte damals der Pressesprecher des CSU-geführten Innenministeriums. „Sie haben ja ‘ne dicke Akte. Schwamm drüber, hier ist noch jeder zur Vernunft gekommen. Auf gute Zusammenarbeit!“ 1988 erfolgt der Aufstieg des linken Journalisten in die ARD-Studios Washington und New York. Seit 1994 moderierte Kuntze das ARD-Morgenmagazin, ab 2004 war er schließlich WDR-Korrespondent im Berliner Hauptstadtstudio.

Ob es die 2013 erfolgte schwere Tumoroperation war oder echte Altersweisheit – die Prognose von vor dreißig Jahren scheint sich zu bewahrheiten: Sven Kuntze rechnet jetzt mit den schamlosen „Vierzigern“ ab. Daß sie ihren Nachgeborenen Atommüll, eine mißratene Ausländerintegration, Bad Banks, zwei Billionen Euro Staatsschulden, ein heruntergewirtschaftetes Bildungssystem oder ein ruiniertes Klima hinterlassen, ist keine neue Erkenntnis von Kuntze. Interessanter sind seine selbstkritischen Ausführungen über die drohende demographische, die Währungs- und die Rentenkatastrophe.

Kuntze ist zwar unschuldig an den „verwaisten Krippen“, denn er hinterläßt mehr als die durchschnittlich nur 1,4 Kinder, die die Generation der „Vierziger“ aufweist. Neu für einen 68er ist jedoch die Erkenntnis, die Familie sei „die bedeutsamste Nahtstelle zwischen Natur und Gesellschaft“. Die bürgerliche Kleinfamilie sei sogar „Vermittlerin derjenigen Normen und Werte, die für eine Gesellschaft spezifisch und lebensnotwendig sind“.

Als ARD-Journalist verbreitete er einst pflichtschuldig die gängige Euro-Propaganda. Nun gesteht er ein: „Die Kritiker hatten in dieser Woge von Euphorie keine Chance, sich Gehör zu verschaffen.“ Doch tatsächlich sei genau das „Unvorstellbare“ eingetreten. Aber anstatt „das mißratene Experiment auf ein beherrschbares Maß zurückzuführen, traf man eine tollkühne politische Entscheidung – die nämlich, daß es keinen Austritt einzelner Nationen aus dem Euro geben dürfe“, klagt Kuntze. Mehr noch: „Kritiker der Euro-Rettungspolitik werden in der handlichen Kategorie ‘Populist’ untergebracht und dort unschädlich gemacht.“ Kuntze wundert sich, „mit welcher Geduld die Wähler bislang das Versagen ihrer Eliten ertragen“.

Als Nonkonformist erweist sich Kuntze auch bei seinem zentralen Thema Altern. So seien kommerzielle Pflegedienste auf Dauer unbezahlbar: „Die vitalen Vierziger werden für die Siechen einkaufen und kochen müssen, Rollstühle durch die nahe Grünanlage schieben, den Vereinsamten Gesellschaft leisten, beschädigte Körper reinigen und pflegen und Sterbenden die Hand halten.“ Auf wenig Resonanz dürfte bei den 68er-Hedonisten auch dieser Vorschlag stoßen: „Die Kinderlosen unter den Vierzigern, die im System der umlagefinanzierten Renten keine Ansprüche erworben haben, sollten einen Teil der Einkünfte, so fordert Kuntze, „in einen Fonds einzahlen, der zweckgebunden die bedürftigen Alten zukünftiger Generationen unterstützt“.

Weltfremd ist allerdings Kuntzes Überlegung, die Einkünfte von Rentnern auf 3.500 Euro zu begrenzen, um so die „beschissenen“ Renten unserer Kinder und Enkel zu erhöhen. In solchen Dimensionen bewegen sich allenfalls Pensionäre oder ehemalige Beschäftigte der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Die Mehrheit der gesetzlichen Rentner erhält schon heute nur zwischen 600 und 1.600 Euro. Lediglich knapp 15.000 der 20,6 Millionen Rentner erhalten über 2.000 Euro pro Monat.

Sven Kuntze: Die schamlose Generation. Wie wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel ruinieren. C. Bertelsmann Verlag, München 2014, gebunden, 256 Seiten, 19,90 Euro

Foto: „Vierziger“-Generation auf Kreuzfahrt: Nachgeborenen katastrophale Zustände hinterlassen

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