© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Völkerrechtliche Expertisen zum Ukraine-Konflikt: Beide Seiten haben recht
Revolutionäre Legitimität
(wm)

Zwei Juristen, drei Meinungen. An dieser spöttischen Kompetenzeinschätzung ändert auch der russisch-ukrainische Konflikt nichts, wie dem Archiv des Völkerrechts (Heft 2/2014) zu entnehmen ist. Legt dort doch der Hamburger Emeritus Otto Luchterhandt in einer so mustergültig formalistischen wie realitätsblinden Subsumtion des „Falles“ Krim dar, daß Referendum und Unabhängigkeitserklärung der Krim-Bewohner vom März 2014 gegen das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, die russische Anerkennung der „Republik Krim“ gegen das „Interventionsverbot“ verstoßen, und schließlich die Aufnahme der Krim in die Rußländische Föderation unvereinbar sei mit dem Annexionsverbot des „universellen Völkerrechts“. Luchterhandts Salzburger Kollege Michael Geistlinger gelangt indes zu einer exakt gegenteiligen Beurteilung. Der Vergleich mit 15 Fällen aus der jüngsten Geschichte des Völkerrechts, in erster Linie die Analyse der Prozesse in Estland und Slowenien, erlaube es weder, von der „Annexion“ der Krim zu sprechen, noch das Selbstbestimmungsbegehren der Russen in der Ostukraine als völkerrechtswidrig zu disqualifizieren. Auf der Krim wie am Dnjepr dürfen sich die Russen auf dieselbe „revolutionäre Legitimität“ berufen, die 1991 bei der Verwirklichung der ukrainischen Unabhängigkeit galt.

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