© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Er prophezeite früh die Götterdämmerung
Vertreter konservativer Geistesaristokratie: Vor siebzig Jahren starb der national-protestantische Schriftsteller und Kulturkritiker Rudolf Borchardt
Felix Dirsch

Die Gralshüter der Politischen Korrektheit wissen, wo der Feind steht: Vor zwei Jahrzehnten polemisierte der Publizist und Zeit-Autor Richard Herzinger gegen eine angeblich zyklische Wiederkehr des deutschen Antimodernismus. Der deutsche Kulturautoritarismus reiche von Novalis über Rudolf Borchardt bis Botho Strauß. Ein vorläufiges Ende dieser Traditionslinie stelle der „Anschwellende Bocksgesang“ dar, der an Borchardts „Schöpferische Restauration“ erinnere.

In der Tat: Das verbindende Glied zwischen Strauß’ Spiegel-Essay, der 1993 der linken Kulturindustrie die Zornesröte ins Gesicht trieb, und dem Vorläufertext, der ursprünglich 1927 als Rede an der Münchner Universität gehalten wurde, ist die Kritik der nivellierten, von der Telekratie beherrschten und gelenkten Massengesellschaft. Worüber sich einst der Elitäre Borchardt mokierte, die Omnipräsenz der „halbwissenschaftlichen Technik, des halbtechnischen Unterhaltungswesens, des halbunterhaltenden Meinungsmachens und Meinungsverbreitens“, ist auch dem Theaterdramatiker ein Dorn im Auge.

Um Borchardt hüllte sich der Mantel des Schweigens

Die Kontroverse um Strauß war wohl die einzige öffentliche Debatte nach 1945, in der der Name Borchardt gefallen ist. Ansonsten erging es dem vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges weithin geschätzten Autor wie vielen seiner Kollegen: Neben vereinzelter expliziter Ablehnung hüllte sich der Mantel des Schweigens um ihn. Immerhin bemühte sich kein Geringerer als Theodor W. Adorno um eine Neurezeption des von ihm freilich wenig geschätzten Literaten.

Borchardt erblickte 1877 als Sproß einer wohlhabenden protestantischen Kaufmannsfamilie in Königsberg das Licht der Welt. Die Eltern hatten jüdische Wurzeln. Die ersten Lebensjahre verbrachte Borchardt in Moskau, später lebte er zeitweise in mehreren preußischen Städten. Nach dem Abitur in Wesel (Rheinland) studierte er an mehreren Universitäten Altertumswissenschaften. Das Promotionsstudium brach er aus persönlichen Gründen ab. Jedoch blieb die klassische Philologie eines seiner Hauptarbeitsgebiete. Im umfangreichen Œuvre nimmt die Übertragung der antiken Literaturdenkmäler, darunter die altionischen Götterlieder, die Gedichte Pindars und Platons Lysis, nicht den unbedeutendsten Platz ein.

Um 1900 trat er in Kontakt mit Hugo von Hofmannsthal und mit dem Kreis um Stefan George. Entsprechende Lektüre hatte ihn elektrisiert. Trotz der Hochschätzung des Werkes von George kam es bald zum Streit. Die homoerotischen Neigungen, die in den Zirkeln um den Meister offen gezeigt wurden, irritierten Borchardt. Weiter brachte er kulturpolitische und ästhetische Einwände gegen die Männerbündelei vor.

Von großer Verehrung bestimmt, wenngleich ebenfalls nicht spannungsfrei, war das Verhältnis zu Hofmanns-thal, den Borchardt (anders als George) persönlich kennenlernen durfte. Unter den diversen Schriften, die er dem Vorbild widmete, ist der Essay mit dem Titel „Hofmannsthals Unsterblichkeit“ vielleicht der schönste: „Sein Wesen war alles“, so heißt es, „eine Erscheinung aus dem Unzulänglichen, Genius“.

Wenige Jahre nach 1900 verließ Borchardt Deutschland und fand in der Toskana eine neue Heimat. Während des Ersten Weltkrieges leistete er Kriegsdienst. Gerade vor dem Hintergrund des hundertjährigen Gedenkens an die Ereignisse ist es lohnend, diverse patriotische Reden heranzuziehen, die Borchardt damals hielt. Sie waren nicht ohne Übersteigerungen, wenn er etwa forderte, es solle „vom Euphrat zu den finnischen Seen eine einzige Grenze sein. Wir werden sie auch gegen den Westen vorschieben müssen.“

Bald nach dem Ende des großen Ringens zog Borchardt abermals nach Italien – inzwischen hatte er ein zweites Mal geheiratet und wurde bald vierfacher Vater –, behielt zu seinem Vaterland aber engen Kontakt. Bis zum Einschnitt von 1933 war er als Vortragender im Reich gerne gesehen.

1931 plädierte er für eine Militärdiktatur

1931 hatte Borchardt in einem Zeitungsartikel die „konservative Revolution“ postuliert. Er gehörte zu den christlichen Vertretern dieser maßgeblich von Armin Mohler erforschten Bewegung. Von den Aufsätzen Borchardts aus der Zwischenkriegszeit ragen Beiträge wie „Konservatismus und Humanismus“ sowie „Konservatismus und Monarchismus“ heraus. Der Kulturkritiker rügte die Entkopplung von Sexualität und Zeugung, Verhöhnung der Elternschaft, Entweihung der Ehe, Frauenemanzipation und ähnliche Erscheinungsformen, die seiner Meinung nach Dekadenz indizierten. Er konstatierte sogar eine deutsche „Entvölkerungstragödie“, Deutschland sei ein „Raum ohne Volk“. Weiter erkannte er ein „Halbmenschen- und Viertelsmenschwesen“, das besonders aus dem städtischen Proletariat entstanden sei. Der Kapitalismus fördere die Geldgier, die Teile des Volkes in den „Kulturtod“ treibe.

Spätere Kritiker haben ihm vor allem seine Rede über Führung, gehalten am 2. Januar 1931 in Bremen, zum Vorwurf gemacht, in der er angesichts der verfahrenen politischen Situation für Ausnahmezustand und Militärdiktatur plädierte.

Doch Borchardt fühlte sich in erster Linie als Schriftsteller. Eine seiner wichtigsten Unternehmungen, die aus seinem Werk (Dramen, Reden, Gedichte, Prosatexte und einiges mehr) hervorsticht, war die Übersetzung von Dantes „Divina Commedia“ ins Deutsche, die auch im Rahmen von Mussolinis Einladung 1933 eine Rolle spielte. Im Band „Prosa VI“ der Gesamtausgabe ist die Begegnung mit dem Duce („Besuch bei Mussolini“) festgehalten.

Borchardt sah die Götterdämmerung früh voraus. Aus dem Exil mußte er erkennen, daß sein Ziel, zur Regeneration der deutschen Nation aus klassisch-romantischem Geist beizutragen, gescheitert war. Die unvollendeten Betrachtungen, später veröffentlicht unter dem Titel „Der Untergang der deutschen Nation“, hatte er wohl 1943 verfaßt. Folgende Zeilen sind besonders bedenkenswert: „Darum schreibe ich auch für meine eigene Nation, die eine Antwort auf die tiefen Gründe des Elends verlangt, in das sie stürzen mußte, als sie sich selbst untreu wurde, und dann halb wissentlich halb frevelhaft sich selber verriet. Ich verlange aber auch von unseren Richtern Gehör für den Rest von uns dessen ewiger Wert den Untergang überlebt, weil ich diesen Rest, viel oder wenig wie er sei, an seiner Stelle im europäischen Zusammenhang für die Zukunft erhalte und anmelde (…) Nur daß die ewige Substanz eines großen Geschichtsvolkes von anderthalb Jahrtausenden der Wirkung nach allen Seiten durch nichts auf ewige Dauer vernichtet werden kann oder hat vernichtet werden können, was zehn Jahre irgend haben anrichten können, davon verlangen diese Seiten außerhalb Deutschlands darum Anerkennung, weil sie davon selbst wieder der erste Beweis sind.“ Eine differenziertere Sicht auf die Geschichte ist auch aus der Perspektive des Jahre 2015 kaum möglich.

Borchardt hat das unmittelbare „finis Germaniae“ nicht mehr erlebt. Wehrmachtssoldaten, vor den alliierten Streitkräften auf dem Rückzug, nahmen den Auslandsdeutschen und seine Familie aus Mittelitalien gegen seinen Willen nach Norden mit. Der nationalkonservative Monarchist konnte fliehen, starb aber in der Nähe des Brenners Anfang Januar 1945. Seine letzte Abhandlung bleibt sein Vermächtnis.

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