© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

„Ihr müßt aufpassen“
Knallbunte Verzweiflung in einem amphibischen Raum: Max Linz’ Spielfilmdebüt entlarvt die Mechanismen im Kulturbetrieb
Sebastian Hennig

Zu Beginn von Max Linz’ Film „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ sehen wir die Ausstellungskuratorin Asta Andersen (Sarah Ralfs) auf dem Rücken liegen. Sie greift sich mit den schmalgliedrigen Händen an die Stirn und zischt in schier unendlicher Reihung das gebräuchlichste deutsche Fäkalwort durch die Zähne. Sonst freilich bewahrt die Tochter aus gutem Hause immer die Fassung. Wenn sie während eines Essens im Edelrestaurant zu ihrer Mutter (Hannelore Hoger) sagt: „Ich könnte Bomben werfen auf alles“, dann wirkt das nur drollig.

Der Anlaß dieser Terrordrohung ergibt sich im Film kurz vorher. Während einer Rundfunksendung setzt die elegante junge Frau die erwünschten Worte in einen unerwünschten Zusammenhang. Brechts systemkritischen Ratschlag von 1942, die Empörung nicht gegen abstrakte Verhältnisse zu lenken, wendet sie auf das gegenwärtige System und ihre eigenen Produktionsbedingungen an. Dabei gehört sie genaugenommen gar nicht zu den Produzierenden. Als Kuratorin pflegt sie jene Mischung aus Reflexion und Selektion, der sie dann selbst unterliegen wird.

Vom amphibischen Film zwischen Kino und Television, Unterhaltung und Aufklärung, geht das Rundfunkgespräch zu den aussterbenden Arten unter den Amphibien über. Der Irrelevanz und Allverfügbarkeit des Mediums entgegnet Asta mit der Sehnsucht danach, „wie dieser Raum amphibisch zu rekultivieren sein könnte. Gewaltlos, logisch. Und bestenfalls per Rückverzauberung.“ Auf die Frage der Moderatorin: „Ist den Institutionen Demokratie zu anstrengend geworden oder zu gefährlich?“ antwortet sie: „Ja, scheint zumindest so.“ Nach der Sendung rückt neben dem Funkturm die Reichstagskuppel unter einem Vollmond ins Bild. Zu lesen ist die schriftliche Mitteilung: „Es reicht. Wir frieren das Budget ein.“ Erst jetzt, mitten im Film, folgt der Vorspann mit Titel- und Personenangaben.

Bevor ihr die Förderung gestrichen wird, hat Mitarbeiter Marc Möbius (Daniel Hövels) Asta bereits gewarnt. Er spielt ihr einen Tonmitschnitt ihrer Rede vor: „Ihr müßt aufpassen. Ihr müßt echt aufpassen. Damit ihr nicht mißverstanden werdet, müßt ihr aufpassen.“ Wie er in seinem bunten Büro über den Tisch steigt, sich Kaffee eingießt und wie abwesend weitermemoriert: „Ihr müßt aufpassen, aufpassen, aufpassen, aufpassen“, ist eine der schrillsten Szenen des Films. Seine Chefin Wilhelmine Askwitt (Nina Tecklenburg) erinnert ihn geduldig an die Regeln ihres Handelns: „Niemand weiß, was wir hier tun. Sie müssen einfach nur lächeln.“

Selbst die einflußreiche Mutter von Asta ist dagegen ratlos, zumal die unüberwindliche Entscheiderin über die Kultur sich „das ganze Exzellenzcluster normative Kühe ins Boot geholt“ hat. Sie macht der Tochter erstmal ein praktisches Angebot: „Brauchst du Geld?“ Als diese bejaht, stellt sie behaglich fest: „Ich habe Geld.“

Später wird sie dem Bundespräsidenten Joachim Gauck etwas ins Ohr raunen. Am Drehtag mit Hannelore Hoger war diese zum Empfang in Schloß Bellevue eingeladen. Die Filmtruppe akkreditierte sich als Pressevertreter und machte ihre Aufnahme, in der Dagmar Andersen beim Staatsoberhaupt die Karriere ihrer Tochter wieder geradebiegt. Der Regisseur konnte nebenbei beobachten, daß die prominenten Gäste dieses Bürgerempfangs zumeist TV-Darsteller von Kriminalbeamten waren: „Es scheint, als seien es ausgerechnet Fernsehkommissare, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung am meisten ums Gemeinwohl kümmern.“ Was die Schauspielerin hier für Max Linz unternommen hat, das hat ihr 1979 Alexander Kluge schon einmal abverlangt. Damals besuchte sie in der Rolle einer engagierten Lehrerin für „Die Patriotin“ einen SPD-Parteitag.

Der sprudelnde Schwachsinn der Filme von Christoph Schlingensief, Herbert Achternbusch oder Alexander Kluge ist hier zu einem realistischen Chaos reinlich geordnet. „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ ist ein Film voll verzweifelter leiser Ironie. Damit nimmt er den Faden von Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ (2012) und Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ (2013) auf. Wie diese folgt Linz dem Ratschlag von Brecht, wenn er würdelose Zustände nicht als einen kompakten Gegner würdigt. Der Film zeigt einen Zustand, ohne weitere Auskunft über ihn und sich zu geben. Nachdem er die Reaktionen des Publikums während einiger öffentlicher Aufführungen erlebt hatte, gestand der Regisseur: „Was Farce ist und was ernst gemeint, das kann ich also nicht endgültig entscheiden.“

Die Bildästhetik seiner arrangierten Räume ist irgendwo zwischen Michelangelo Antonionis „Il deserto rosso“ und Helge Schneiders „Praxis Doktor Hasenbein“ angesiedelt. Die Kostüme sind betont elegant. Der Schriftsteller Franz Friedrich spielt einen „Writer in Residence“, auch Kerstin Grassmann stellt sich selbst dar. Sie leitet das „Brecht-Yoga“, zu dem sich die Kreativen auf Matten ausgestreckt hingeben.

Max Linz’ Film „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ handelt von der Bändigung durch den Diskurs. Wie Asta Andersen hat auch der Regisseur zuletzt selbst erfahren dürfen, daß seine bösartigen Spiegelungen förderwürdig sind. Zuletzt aber wird im Sumpf der Kulturbürokratie wohl keines der drolligen kreativen Amphibien überlebt haben.

Der Film startet an diesem Donnerstag in den Kinos.

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