© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Pädagogik mit erhobenem Zeigefinger
„Immer bunter“: Die Ausstellung des Hauses der Geschichte in Bonn zum „Einwanderungsland Deutschland“ wirkt hilflos und konfus
Thomas Bachmann

Angela Merkel hat sich in ihrer Neujahrsansprache unmißverständlich ausgedrückt: Eine kritische, gar ergebnisoffene Debatte über die Einwanderung und ihre Folgen ist nicht erwünscht. Es sei selbstverständlich, „daß wir Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen“, sagte die Kanzlerin. Für die im Bundestag vertretenen Parteien, große Teile der wirtschaftlichen Eliten und nicht zuletzt die Meinungsführer in den Medien liegen die Fakten auf dem Tisch und müssen nur noch von den Bürgern akzeptiert werden.

Zwanzig Prozent der Einwohner unseres Landes haben, so heißt es, bereits heute in irgendeiner Weise einen „Migrationshintergrund“. Die Bundesrepublik sei damit de facto längst zu einem Einwanderungsland geworden. Die demographische Entwicklung werde unsere Sozialsysteme schon bald in dramatischer Weise strapazieren und zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften führen. Ohne einen deutlich größeren Zustrom von Migranten seien die Probleme nicht beherrschbar. Die Deutschen müßten die Einwanderung daher als Chance und nicht als Bedrohung begreifen und ihren Mitbürgern von morgen mit einer „Willkommenskultur“ begegnen.

Nach offizieller Lesart wird diese Einstellung von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt, und es sei lediglich eine von dumpfen Ängsten geplagte und von uneinsichtigen Agitatoren verhetzte Minderheit, die sich den gebotenen Einsichten verweigere. Mit ihr lohne es nicht, zu diskutieren. Sie sei stattdessen mit Mitteln der Pädagogik – und wenn diese nicht fruchten durch Einschüchterung – zur Räson zu bringen.

Aussagekraft der Exponate ist gering

Staatstragende Pädagogik ist das Metier des mit seiner Hauptdependance in Bonn ansässigen „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Seine Dauerausstellung präsentiert auftragsgemäß die Ordnung des Grundgesetzes als Höhepunkt und Vollendung der Nationalgeschichte. Da die Alltagskultur dabei nicht zu kurz kommt, ist das Museum auch bei rückläufigen Besucherzahlen und trotz wachsender Kritik an der angestaubten Didaktik ein Publikumsmagnet geblieben. Wechselausstellungen sollen eigentlich die Attraktivität erhöhen. Bereits der geringe Platz, der ihnen zur Verfügung steht, erlaubt jedoch selten mehr als lustlose Verlegenheitslösungen. Oft ist bereits ihr Thema nicht museumstauglich, oder es mangelt an Exponaten, die diesen Namen verdienen.

Auch wer eigens wegen der aktuellen, Mitte Dezember eröffneten Wechselausstellung zum Thema Migration nach Bonn aufbricht, wird enttäuscht, wenn er auf „Geschichte zum Anfassen“ hofft. Den Besucher erwarten vor allem auf Stellwände verteilte Schriftstücke, Fotografien, Pamphlete, Karikaturen, Schlagzeilen und Schaubilder, deren Bedeutung sich, wenn überhaupt, nur mit erheblichem Vorwissen oder dank der Erläuterung eines Museumsführers erschließt.

Bloß wenige, größtenteils wohl aus dem Fundus zusammengeklaubte Ausstellungsstücke durchbrechen die Ödnis einer in den dreidimensionalen Raum ausgerollten Broschüre. Ihre Aussagekraft ist jedoch gering. Das Zündapp-Mokick, mit dem der millionste Gastarbeiter, der Portugiese Armando Rodrigues de Sá, „am 10. Dezember 1964 kurz vor 10 Uhr auf dem Köln-Deutzer Bahnhof“, diesen Höhepunkt deutscher Geschichte soll man sich vermutlich merken, beglückt wurde, verrät nichts darüber, warum der Beschenkte kam und wie es ihm erging. Der blaugrüne Ford-Transit, den Sabri Güler 1980 kaufte, soll, so die Ausstellungsmacher, als „Symbol für das Heimweh der ‘Gastarbeiter’ und die Reisen in ihre Heimat“ gelten. Darauf muß man erst einmal kommen.

Der Koffer, mit dem sich Lorenzo Annese 1961 nach Wolfsburg aufmachte, bot in der Tat sehr wenig Platz für Habseligkeiten. Da er kein Vertriebener und auch kein Bürgerkriegsflüchtling war, muß der Schauder aber nicht größer sein als beim Anblick einer Gepäckablage im ICE. Vielleicht meinte Annese einfach, daß der Inhalt für einen vorübergehenden Arbeitsaufenthalt schon ausreichen würde und es in seinem Gastland sicher etwas zu kaufen gäbe. Auch der orientalische Wandteppich, mit dem eine türkische Familie ihr Wohnzimmer geschmückt haben soll, löst kaum Nachdenklichkeit aus. Tausende Deutsche haben vergleichbaren Kitsch als Souvenir aus ihrem Antalya-Urlaub mitgebracht.

So dilettantisch die Machart der Ausstellung ist, so hilflos erscheint ihr inhaltliches Konzept. Dies geht so weit, daß selbst Besucher, die die grundsätzliche Ausrichtung befürworten, verschreckt werden. Sicher ist es statthaft, darauf hinzuweisen, daß es auch vor 1945 Einwanderungswellen gab. Sind aber die Zwangsarbeiter, die die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg verschleppten, in diesem Zusammenhang zu nennen?

Anwerbestopp war ein symbolischer Paukenschlag

Entschieden ist allein die durch ihren Titel vorweggenommene Botschaft, mit der die Besucher aus ihrem Rundgang herauskommen sollen: Immer bunter, und das soll wohl heißen immer abwechslungsreicher und lebenswerter, ist unsere Republik geworden, seitdem sie zum Einwanderungsland mutierte. Dieser Prozeß stellt sich in der Abfolge der Themenräume jedoch als eine Aneinanderreihung von Zufällen, Fehleinschätzungen und Mißverständnissen dar. Die Politik und die Arbeitgeber haben die Eigendynamik, die die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer entfachen würde, nicht vorausgesehen oder, um keine Widerstände heraufzubeschwören, nicht voraussehen wollen. Auch der Anwerbestopp von 1973 war nicht mehr als ein symbolischer Paukenschlag, der das Gegenteil der proklamierten Absicht bewirkte. Millionen von ins Arbeitsleben integrierten Ausländern blieben und zogen ihre Familien nach.

Auch die deutschstämmigen Arbeitnehmer haben die Entwicklungen, die über sie hereinbrachen, lange nicht einzuschätzen gewußt. Sie fürchteten, gestützt auf freimütige Verlautbarungen der Arbeitgeber, Lohndumping ausgesetzt zu werden und ihren Anteil am wachsenden Wohlstand der boomenden westdeutschen Republik nicht länger einfordern zu können. Dabei ignorierten sie, so belehrt die Ausstellung, daß erst durch die Einwanderung Arbeitszeitverkürzungen möglich wurden. Zudem entlasteten die geringqualifizierten Migranten sie oft von unattraktiven und körperlich anstrengenden Arbeiten und gaben ihnen damit den Anstoß, sozial aufzusteigen.

Schmuddelecke mit Rechtsparteien

Nicht nur hier neigt die Ausstellung dazu, fragwürdige Klischees zu bedienen, solange sie pädagogisch opportun sind. Probleme bereite, so ihr Tenor, weniger die Migration selbst, sondern der Unwillen, sich ihren Konsequenzen zu stellen. Wertvolle Zeit wurde verloren, weil Politik und Gesellschaft bis in die 2000er Jahre hinein nicht wagten, sich selbst und der Öffentlichkeit einzugestehen, daß die deutsche Zukunft eine multikulturelle wäre.

Wie die Rollen zwischen Wirklichkeitsverweigerung und Zukunftsbejahung angeblich verteilt waren, führt die Gegenüberstellung von zwei Plakaten der CDU und der Grünen vor Augen. Vom Ressentiment, das die Parolen der Union unterschwellig bedienen, ist es in der Tendenz (und für den Besucher in der Ausstellung) nicht weit bis zu der Schmuddelecke, in der Manifeste der Republikaner, der DVU und der NPD den geistigen Nährboden für nebenan dokumentierte Ausschreitungen bereiten.

Viel mehr an gedanklicher Geradlinigkeit kann die Ausstellung aber nicht bieten. Die Differenzierung zwischen angeworbenen Arbeitnehmern, Wirtschaftsflüchtlingen, Asylsuchenden und Aussiedlern ist ihr letztlich irrelevant. Die Fragen, wer ein Recht hat, zu kommen und zu bleiben, und welches Maß an Einwanderung verkraftbar ist, werden tabuisiert. Die Ratlosigkeit kulminiert im letzten Raum des Rundgangs, der Schlaglichter auf eine „neue Identität“ der Deutschen wirft, aber doch erahnen läßt, daß diese nur eine begriffliche Illusion sein könnte, hinter der sich antagonistische Parallelgesellschaften verbergen. In ihm sind auch Filmausschnitte und Bücher zu sehen, die einen Eindruck davon geben, welche Beiträge Migranten zur deutschen Gegenwartskultur leisten. In einer Vitrine, ganz zuunterst in einem kleinen Stapel kann der Betrachter hier auch den Kriminalroman „Felidae“ von Akif Pirinçci entdecken. Was dieser Autor zum Thema Integration zu sagen hat, wagt die Ausstellung jedoch auch nicht einmal andeutungsweise zu berücksichtigen.

 

Die Ausstellung „Immer bunter – Einwanderungsland Deutschland“ ist bis zum 9. August im Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Anschließend wird sie vom 7. Oktober bis zum 17. April 2016 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig präsentiert. Telefon: 02 28 / 91 65-0

www.hdg.de

Foto: Umstritten: Der Künstler Guido Messer entwirft 1982 die Skulptur „Der Ausländer“ für die Gemeinde Reichenbach im Landkreis Esslingen, Baden-Württemberg. Diskussionen im Gemeinderat verhindern die Aufstellung. Ab 1989 ist sie im Bahnhof Obertürkheim zu sehen – zunächst nur unter dem Titel „Der Reisende“.

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