© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Die Furcht, überflüssig zu werden
Entfremdung vom Politischen: Warum die etablierten Medien der Pegida-Bewegung spinnefeind sind
Thorsten Hinz

Die Pegida-Bewegung gibt dem Strukturwandel der Öffentlichkeit einen kräftigen Schub. Journalisten und Publizisten, die noch eben aus der Position der Stärke Andersdenkende stigmatisierten und der sozialen Degradierung überantworteten, stehen nun selber unter Rechtfertigungsdruck: als „gekaufte Journalisten“ (Udo Ulfkotte) einer „Lügenpresse“.

Die Verachtung, die ihnen entgegenschlägt, versuchen sie durch die Herabsetzung ihrer Kritiker zu kompensieren. Der Protest entspringe Abstiegsängsten, er sei das Ergebnis persönlicher Schwäche und einer verzerrten Wahrnehmung. Der Historiker Götz Aly schreibt in der Berliner Zeitung von „Kleinmütigen und Ehrgeizlingen“, die ein „geringes Selbstwertgefühl“ besitzen und ihr „Ekelwesen hinter biedermännischem Getue“ verbergen. Michel Friedman (in Springers Boulevardblatt B.Z.) und andere mokieren sich über das „Tal der Ahnungslosen“ im Osten, wo es kaum Moslems gebe. „Ostdeutschland“ dient als Synonym für Provinzialität und Beschränktheit, die mit der „Weltoffenheit“ des Westens kontrastieren.

Hier wird versucht, einen argumentativen Vorteil aus der Tatsache zu ziehen, daß DDR-Bürger bis 1989 unter kollektiver Quarantäne standen. Das wirkt doppelt billig, weil der westliche Gegenentwurf zur DDR-Provinzialität keineswegs aus souveräner Weltläufigkeit bestand. Karl Heinz Bohrer demaskierte 1990/91 in seinen Provinzialismus-Glossen den akademisch gebildeten, „weltoffenen“ Bundesrepublikaner als „umtriebig informierten westdeutschen Touristentypus“, hinter dessen „universalistischen Kategorien (...) sich ein Vakuum praktischer Ethik“ versteckt. Entsprechend unterentwickelt war – und ist – seine politische Urteilskraft.

Natürlich weiß man in Dresden Bescheid über die Zustände in Dortmund, Duisburg und anderswo und sagt: „Nein, danke!“ Sachsen will kein zweites Nordrhein-Westfalen werden! „Aus dem ‘goldenen Westen’ meiner DDR-Jugend ist ein Monster geworden, dem man jetzt immer wieder montags in Dresden den Spiegel vorhält ...“, teilte ein Leser Zeit online mit.

Spiegelbildlich wiederholt sich damit eine Kränkung, die viele DDR-Bürger im Zuge der Wiedervereinigung empfunden haben. Damals wie heute betrifft sie vor allem Intellektuelle, die das ideologische Inventar ihres jeweiligen Staates verwalten. In der DDR bezogen sie sich auf einen dogmatisierten Marxismus, die einen affirmativ, die anderen kritisch. Die „intellektuelle Gründung der Bundesrepublik“ (Clemens Albrecht) wurde durch Vertreter der reimportierten Frankfurter Schule vollzogen, die mit einem kulturrevolutionären Ansatz den Rückfall in ein „Viertes Reich“ verhindern wollte. Längst ist sie zu einem nicht minder dogmatischen Ideologiesystem verkümmert mit dem imaginierten „Ewigen Nazi“ als ihrem Sinnzentrum und Bezugspunkt.

FAZ-Redakteur Christian Geyer wendete sich scharf gegen Politiker, die angedeutet hatten, die Sorgen der Demonstranten „ernstzunehmen“. Nicht der vormundschaftliche Gestus störte ihn, sondern die mögliche Nachgiebigkeit der Politik. Es dürfe „nicht darum gehen“, zürnte er, „den politischen durch einen therapeutischen Diskurs zu ersetzen“. Die Demonstranten seien besessen von „xenophoben Ressentiments“, von „Fremdenfeindlichkeit“, sie betrieben „Stimmungsmache mit jedem Schritt“.

Das Wort „diffus“ beziehungsweise „Diffusität“ kommt in dem kurzen Text gleich fünfmal vor. Besonders empört ihn, daß die Demonstranten die Medien ignorieren. Die „demonstrative Verweigerung des Gesprächs“ sei eine „Verächtlichmachung des argumentativen Stils“ und der „Triumph des Ressentiments über die politische Auseinandersetzung“.

Ähnlich der Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer, der sich vor einigen Jahren die Frustration über sein linkes Elternhaus in einem Buch von der Seele schrieb und seither als konservativer Gesellschaftsanalytiker gründlich mißverstanden wird. Er sieht in Dresden „Netzverschwörer“ marschieren. Weil sie die Parteien und großen Medien nicht mehr für erheblich halten, verdienten sie „kein Gegenargument (...), sondern eine Zurechtweisung“ – nötigenfalls mit Wasserwerfern und dem Verfassungsschutz!

Alle Autoren teilen die Furcht, überflüssig zu werden und die Erfahrung der DDR-Intellektuellen von 1989/90 nachholen zu müssen. Der Ost-Berliner Sozialphilosoph Michael Brie – ein kluger Kopf, der heute bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig ist – analysierte damals: „Mit dem Verlust des sicheren Arbeitsplatzes im staatlichen Wissenschafts-, Kunst- und Medienbetrieb der DDR verloren viele Intellektuelle ihr ökonomisches Kapital. Ihnen droht Verarmung, teils relativ, teils absolut. Mit der Zerschlagung der ideologischen Apparate der DDR und deren institutionellem Gefüge verloren sie ihr soziales Kapital. Nähe zur SED, zu den Staatsorganen, einschließlich Staatssicherheit, werden durchweg als nicht begleichbare Schulden angesehen. Die intellektuelle Elite der DDR hat keine Macht-Beziehungen mehr. Mit dem Themenwechsel der Politik und dem Einzug westdeutscher Sprache und Symbolik verloren sie ihr politisches Kapital. Sie stehen für keine Zukunft mehr. Schon ihre Anwesenheit allein erinnert an Niederlage und Versagen. Vor allem aber verloren sie ihr kulturelles Kapital. Ihr gesamtes Wissen und Können, ihre Weise, sich auszudrücken und zu handeln, sind entwertet (…) Ursache genug, Trauer zu empfinden, Bitterkeit zu spüren ...“

In keinem Berufszweig sind die Abstiegsängste heute größer als unter Journalisten. Den drohenden Verlust des ökonomischen Kapitals versuchen sie wettzumachen, indem sie neues Sozialkapital generieren und noch enger an die ideologischen Apparate und Institutionen rücken, die vom Parteienstaat oder von Lobbygruppen finanziert werden. Mit der Intensivierung der Machtbeziehung empfehlen sie sich für eine finanzielle Förderung. Solche Machtnähe birgt aber auch Risiken. Journalisten, die ihre Autonomie aufgegeben haben und noch die dümmsten Irrtümer der Politik brav akklamieren, werden durch ihre Korrektur bloßgestellt. Daher auch Geyers Mahnung an sie, die ablehnende Haltung zu Pegida auf keinen Fall zu ändern. Dann würde sich auch das kulturelle Kapital des Journalismus – die Begrifflichkeit – endgültig als Spielgeld erweisen.

Evident ist die Falschmünzerei schon heute. Geyer wirft den Pegida-Demonstranten vor, sich dem politischen Diskurs zu entziehen, weil sie sich „gerade nicht auf den Protest gegen konkrete politische Mißstände (konzentrieren), die sich mit politischen Mitteln beheben lassen könnten“, wie zum Beispiel die „unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen“. Der Vorwurf fällt auf ihn zurück, denn Geyer verwechselt soziale und technische Modalitäten mit dem Politischen, das die Grundfragen des Gemeinwesens betrifft. Die Entscheidung darüber, wer Zugang zu ihm erhält und wer nicht, ist eine politische Kernkompetenz.

Aus der Perspektive des Menschenrechtsuniversalismus, dem die meisten Journalisten anhängen, ist diese Entscheidung jedoch illegitim. Für sie darf es ausschließlich um die Modalitäten der „Willkommenskultur“ gehen und gibt es keinen Unterschied zwischen dem abstrakten Prinzip und der konkreten Praxis. Die Dresdner Demonstranten hingegen wollen sich nicht damit abfinden, daß ihre politische Freiheit schon wieder nichts weiter sein soll als die Einsicht in eine von zweifelhaften Funktionseliten behauptete Notwendigkeit.

Das „Vakuum praktischer Ethik“ und die Entfremdung vom Politischen gerade der Intellektuellen hängt eng mit der Genese der Bundesrepublik zusammen. Die rasche wirtschaftliche Prosperität stand im scharfen Kontrast zum politischen Mündelstatus der westdeutschen Republik. Anstatt den Konflikt dadurch gedanklich aufzulösen, daß sie die Wiedervereinigung samt wiedergewonnener Souveränität antizipierten und zum Maßstab der politischen Lageanalyse machten, entsorgten sie ihn einfach, indem sie die in der deutschen Teilung beschlossene Fremdbestimmung verinnerlichten und sich auf ihre innere Ausgestaltung und Ästhetisierung beschränkten. Das Politische wurde auf untergeordnete Bereiche wie die Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik reduziert und durch eine universalistischen Hypermoral ersetzt.

Da diese politische Infantilisierung den meisten Journalisten gar nicht bewußt ist, kann es hierzulande auch keinen ernstzunehmenden politischen Journalismus geben und ist eine Diskussion weitgehend sinnlos. Weil ihrerseits die Pegida-Bewegung von einem elementaren politischen Impuls – dem Impuls zur Selbstbehauptung – geleitet wird, gerät sie zu den etablierten Medien in eine geradezu natürliche Feindschaft.

Foto: Pegida-Demonstranten am 5. Januar in Dresden: Kritiker in Politik und Presse werfen ihnen „Fremdenfeindlichkeit“ vor

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