© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Grüße aus Bern
Nervige Gesandte
Frank Liebermann

In einer Hauptstadt zu leben, hat ein paar nicht zu unterschätzende Vorteile. Die Stadt ist meist hübsch rausgeputzt, viele kulturelle Veranstaltungen finden statt, und die zahlreichen Behörden mit ihren Mitarbeitern verströmen eine angenehme Ruhe und Gelassenheit in der Bundesstadt. Allerdings gibt es auch ein paar gravierende Nachteile. Neben den dauernden Demonstrationen für oder gegen irgend etwas, den unzähligen Spendensammlern für sonderbare gute Zwecke oder randalierenden Fußballfans, die den Schweizer Cup für Ausschreitungen nutzen, gibt es eine weitere Gruppe, die unendlich nervt: Diplomaten.

Das Schweizer Diplomatenhandbuch gibt fünf Tugenden vor: Besonnenheit, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Genauigkeit und gesunder Menschenverstand. Leider gilt dies nur für Schweizer Diplomaten. Ausländische nehmen das nicht ganz so genau. Vor allem mit der Aufrichtigkeit und Bescheidenheit im Straßenverkehr haben sie ihre Probleme.

Die Tram-Chauffeurin hupte so nervtötend, daß mir mein Bier nicht mehr schmeckte.

Diplomaten lassen sich nämlich sehr einfach erkennen. Das grüne Kürzel CD – Corps Diplomatique – am Fahrzeugkennzeichnen weist diese privilegierte Gattung Mensch aus. Wer ein Auto sieht, welches in der Fußgängerzone, auf dem Fahrradweg oder an anderen dämlichen Stellen parkt, kann sich fast immer sicher sein, daß es einem Diplomaten gehört.

Vor einigen Tagen durfte ich ein wunderbares Schauspiel beobachten. Ein Fahrzeug stand vor meiner Stammkneipe auf den Tramschienen. Als die Bahn kam, hupte die Chauffeurin so nervtötend, daß mir fast mein Bier nicht mehr schmeckte. Nach zehn Minuten Rumgehupe und der herbeigeeilten Polizei kam der Fahrer des Wagens zurück. Der schwarze Mann trug eine sandfarbene Uniform mit Orden und goldenen Schnüren, die mich an den letzten Borat-Film erinnerten. Nach einem fröhlichen Smalltalk mit der Polizei stieg er in sein Fahrzeug, winkte uns mit abgewinkelter Hand im Queen-Stil zu und fuhr unter lautem Gejohle der anderen Gäste davon.

Die Bevölkerung ist über dieses Verhalten stinksauer. Zwar verhängt die Polizei fleißig Bußgelder, aber bezahlt werden die meist nicht. Und wer glaubt, daß die Diplomaten wichtige Geschäfte zu verrichten haben, sieht sich getäuscht. Oft fahren die privilegierten Gestalten zum Einkaufen oder gehen ein paar Getränke konsumieren. Da haben sie auch einen Vorteil. Mit Hinweis auf ihren Diplomatenstatus fürchten sie auch keine Alkoholkontrollen.

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