© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Neuer Anlauf nach 35 Jahren
Oktoberfest-Attentat 1980: Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen zur Bluttat in München mit 13 Toten wiederaufgenommen
Christian Schreiber

Das Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten gilt als der schwerste Anschlag in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ermittler und Sicherheitsbehörden waren sich schnell einig: Gundolf Köhler, ein Anhänger der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann, sei alleine für das Attentat verantwortlich gewesen. Hinweise auf mögliche Hintermänner oder etwaige Mittäter verliefen im Sande, die Akten wurden geschlossen. Köhler, der bei dem Bombenattentat selbst ums Leben kam, war ein 21 Jahre alter Geologiestudent aus Donaueschingen. Doch jetzt, fast 35 Jahre nach der Bluttat, rollt Generalbundesanwalt Harald Range den Fall neu auf. Seine Behörde hat die Akten aus dem Keller geholt und neue Ermittlungen aufgenommen.

Die Polizei hatte sich 1980 schnell auf Gundolf Köhler konzentriert. Er war das einzige Opfer mit einem auffälligen politischen Hintergrund und der Polizei vor dem Attentat wegen seiner Kontakte zur Wehrsportgruppe des Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann aufgefallen. Unter anderem hatte Köhler, der schon als Schüler durch rechtsextremistische Parolen von sich Reden machte, Hoffmann in einem Brief geschrieben, er wolle eine Ortsgruppe der Wehrsportgruppe in seiner Heimatstadt gründen. Warum die Polizei sehr schnell auf die Einzeltäterthese festlegte, ist bis heute dennoch nicht restlos geklärt. Linksstehende Medien argumentieren, der Rechtsextremismus sei in der Bundesrepublik systematisch verharmlost worden, und die Behörden hätten daher nicht gründlicher nachgeforscht. Andere gingen dagegen davon aus, daß der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) kein Interesse daran gehabt habe, daß sich ausgerechnet in seinem Freistaat eine ultrarechte Zelle gebildet haben könnte. Wirklich Konkretes haben die Behörden damals nicht gefunden. Das Tagebuch Köhlers beschrieb den Studenten als „unzufriedenen, isolierten Menschen“, er habe „aus Frust und Verzweiflung über ein Leben gehandelt.“ Zwei Menschen sind in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, an dieser Theorie öffentlich zu zweifeln: Der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich vertritt ein halbes Dutzend Opfer des Attentats. Zweimal versuchte er bereits, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erreichen, doch er scheiterte 1984 und 2008.

Erddepot mit 150 Kilogramm Sprengstoff

Unterstützung erhielt er von Ulrich Chaussy, einem Journalisten des Bayerischen Rundfunks. Er wurde vor einiger Zeit aufgrund seiner Recherchen mit dem Verfassungsorden des Bayerischen Landtags ausgezeichnet. Die Begründung war interessant. So wurde seine Kritik an dem offiziellen Ermittlungsergebnis gewürdigt. Der Landtag bescheinigte Chaussy, er habe auf „Mechanismen des Wegschauens“ und auf „die Weigerung, Spuren mit der gebotenen Akribie zu verfolgen“, aufmerksam gemacht. Dietrich und Chaussy stehen in engem Kontakt, beklagten oft ein Desinteresse der Öffentlichkeit.

Doch dies hat sich seit Dezember geändert. Generalbundesanwalt Harald Range hat die Ermittlungen an sich gezogen und eine Wiederaufnahme des Verfahrens eingeleitet. Für diese politisch durchaus spektakuläre Entscheidung gibt es triftige Gründe, präsentierte Rechtsanwalt Dietrich doch eine Zeugin, die 34 Jahre lang geschwiegen hatte. Im Frühsommer 2014 habe sich bei ihm eine Theologin gemeldet, die 1980 als Studentin in München Sprachkurse für Aussiedler gab. Einer ihrer Schüler sei der Rußlanddeutsche Andreas W. gewesen. Durch Zufall will die Zeugin in einem Schrank von W. am Tag nach dem Bombenanschlag Flugblätter gesehen haben, auf denen Gundolf Köhler als Held verehrt wurde. Doch zu dem Zeitpunkt hatte die Polizei Köhlers Namen noch gar nicht bekanntgegeben. Die Frau erklärte dem Münchner Juristen, sie sei damals zur Polizei gegangen und habe ihre Entdeckung öffentlich gemacht. Allerdings sei sie abgewimmelt worden. Die Beamten hätten ihr gesagt, sie solle sich nicht in gefährliche Dinge einmischen. Daraufhin habe sie sich entschlossen zu schweigen, 34 Jahre lang.

Es ist offenkundig nicht die einzige Spur, die jahrelang in den Akten verborgen blieb. Bereits kurz nach der Tat vernahm die Polizei zwei Mitglieder der „Deutschen Aktionsgruppen“, einer rechtsextremistischen Organisation aus dem Umfeld des früheren NPD-Politikers Manfred Roeder. Diese gaben an, Köhlers Tat hänge mit Waffenarsenalen des Rechtsextremisten Heinz Lembke zusammen. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Behörden allerdings nichts. Erst ein knappes Jahr später entdeckten Waldarbeiter durch Zufall eines der Depots. Lembke, der Revierförster in Hanstedt-Oechtringen unweit des Truppenübungsplatzes Munster war, hatte Hunderte Schnellfeuerwaffen und 150 Kilogramm Sprengstoff gebunkert. Er erklärte sich bereit, gegenüber der Bundesanwaltschaft umfassend auszusagen. Am 1. November 1981, einen Tag vor seiner Vernehmung durch einen Staatsanwalt, wurde er jedoch erhängt in seiner Lüneburger Gefängniszelle aufgefunden. Die Ermittlungen wurden bald nach seinem Tod eingestellt und Lembke als Einzelgänger dargestellt, der die Waffendepots aufgrund seiner Furcht vor einer sowjetischen Invasion angelegt habe.

Der TV-Journalist Chaussy hat mehrfach daraufhin gewiesen, daß in den Spurenakten zum Oktoberfest-Attentat der Vermerk stehe: „Erkenntnisse über Lembke sind nur zum Teil gerichtsverwertbar“. Solche Vermerke seien nur bei V-Leuten oder Mitarbeitern von Geheimdiensten üblich. Bewiesen ist, daß sowohl Lembke als auch Köhler Kontakte zu Wehrsportgruppen-Führer Hoffmann hatten. Dieser streitet eine Beteiligung an dem Attentat bis heute ab. Rechtsanwalt Dietrich ist es gelungen, im vergangenen Sommer Zugang zu alten Akten des Landeskriminalamtes zu erhalten. Seiner Meinung nach läßt sich die Einzeltäterthese nicht aufrechterhalten.

Range fordert Akten der Geheimdienste an

So habe es mehrere Zeugen gegeben, die Köhler kurz vor der Tat in einem hitzigen Wortgefecht mit zwei jungen Männern gesehen hätten. In dem Wagen des Attentäters seien zudem 47 Zigarettenstummel von sechs verschiedenen Marken gefunden worden. Ein nachträglicher DNA-Abgleich sei nicht mehr möglich, die Asservate seien 1997 vorschriftsmäßig vernichtet worden. Auch aus diesem Grund hat sich Generalbundesanwalt Range nun an die Spitze der Aufklärer gestellt. Er verteidigt die damals Ermittelnden, weist darauf hin, daß schon in dem Abschlußbericht gestanden habe, daß Mittäter nicht auszuschließen seien.

Dennoch will er die Geheimdienste zur Herausgabe sämtlicher relevanter Akten drängen. Wie es in Sicherheitskreisen heißt, sollen vor allem Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamts für Verfassungsschutz überprüft werden, die bisher nicht oder nur unzureichend kriminalistisch ausgewertet wurden, berichtet der Spiegel.

Es scheint, daß die Karten in Sachen Oktoberfest-Attentat 1980 neu gemischt werden. Mit Spannung wird auch der Film „Der blinde Fleck“ erwartet, der am 23. Januar in die Kinos kommt und für den die Recherchen Chaussys die Grundlage bilden. Dem TV-Journalist und Rechtsanwalt Dietrich geht es vor allem darum, daß eingeräumt wird, daß nicht alle Spuren ausreichend verfolgt worden sind. Daran, daß 35 Jahre später der große Hintermann noch präsentiert werden kann, glauben beide allerdings nicht.

 

Anschlag auf die Wiesn

Für den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest vom 26. September 1980, bei dem 13 Menschen starben und mehr als 200 verletzt wurden, wird bislang der Student Gundolf Köhler als Einzeltäter verantwortlich gemacht. Hinweise, daß der 21jährige Attentäter, der bei dem Anschlag ums Leben kam, zum Tatzeitpunkt noch in Verbindung mit der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann stand, oder gar in deren Auftrag handelte, bestätigten sich nicht. Dennoch hielt sich immer die Vermutung, daß Köhler nicht als Einzeltäter gehandelt hatte. Die Zeugenaussage, die zur Wiederaufnahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt geführt hat, gibt dieser Theorie neue Nahrung. Ungeklärt ist zudem, ob der Sprengsatz absichtlich zur Explosion gebracht wurde oder es sich um einen Unfall handelte. Dafür spricht, daß Köhler unter den Opfern war. Auch eine mögliche Verwicklung der Geheimdienste ist bislang nicht restlos aufgeklärt worden und wird Gegenstand der neuen Untersuchungen sein.

Foto: Opfer des Anschlages; das 2008 eingeweihte Mahnmal: Zweifel an der Einzeltäterthese

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