© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

AfD, Pegida und die neue Lage
Vor dem Kulminationspunkt
Dieter Stein

Es verwundert, daß die AfD überhaupt so lange durchgehalten hat. Seit Bestehen der Bundesrepublik 1949 ist es nur den Grünen gelungen, sich als neue Partei zu etablieren – wenn man von der aus der SED gewendeten Linkspartei absieht, die ja keine Neugründung ist. Alle anderen Versuche, das Parteienspektrum auf Bundesebene zu erweitern, scheiterten. Wie bei einer jungen, frischgegründeten GmbH, bei der sich in der steinigen Startphase alle Gesellschafter liebhaben, sich später aber oft vor Gerichten wiedersehen, wenn es um die Teilung des Erfolges geht, so tun sich im aktuell eskalierenden Führungsstreit inhaltliche und persönliche Gräben auf, weil es um die Macht in einer Partei geht, die 2017 in den Bundestag einziehen könnte.

Konrad Adam, einer der drei AfD-Bundessprecher, äußerte vor wenigen Tagen angesichts eines auch von ihm selbst befeuerten Schlagabtauschs: „Wir sind als neue Partei an dem Punkt, den man bei der Weinzubereitung Sauser-Stadium nennt. Das ist riskant, das kann das Faß auseinanderreißen. Aber wenn es beisammenhält, wird ein guter Wein daraus.“ Die Anhaltspunkte mehren sich, daß das Faß und damit die Partei auseinanderfliegt. Schon seit Jahresbeginn 2014 schwelt eine Auseinandersetzung um eine neue Satzung und damit neue Führungsstruktur in der AfD.

Bernd Lucke, unbestrittener Primus inter pares von drei formal gleichberechtigten Parteisprechern, der in der FAZ vor Weihnachten wegen seines „politischen Startups“ zum Unternehmer des Jahres ernannt wurde, fordert, daß es künftig nur noch einen Parteichef geben soll. Das ist plausibel, denn anders wird eine große Organisation schwer zu führen sein. Einziger Haken: Lucke muß hierfür eine qualifizierte Mehrheit bekommen. Der alleinige Parteichef in spe verbindet deshalb mit dieser Änderung quasi die Vertrauensfrage. Es wird Ende Januar also darum gehen, ob die AfD noch Lucke vertraut und von ihm geführt werden will. Eine krisenhafte Zuspitzung in einem Moment, in dem sich die AfD nicht nur durch die „Grexit“-Debatte voll bestätigt sehen kann.

Die Pegida-Demonstrationen haben der AfD ein weiteres wichtiges gesellschaftliches Thema zugeführt, das zeitweise Flügelgegensätze überdecken half. Die Signale für ein großes politisches Repräsentationsdefizit verstärken sich von Tag zu Tag. Andererseits stellt sich wie bei Pegida auch bei der AfD die Frage: Wollen diese unterschiedlichen Bewegungen einfach nur eine sich uferlos vergrößernde „Speaker’s Corner“ sein, in der alle politisch Mühseligen und Beladenen ihren beliebigen Frust über „das System“, „den Mainstream“, „die da oben“ abladen können, oder kommt es zu programmatischen Klärungen einer Politik der Vernunft, für die die AfD stehen will? Auch hier ist bei der AfD Führung notwendig. Die rivalisierenden Akteure tragen eine historische Verantwortung.

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