© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Rumäniens bizarre Gotteskrieger
Ein Sammelband untersucht das Phänomen der klerikalfaschistischen „Legion Erzengel Michael“
Karlheinz Weissmann

Eine „geistesgestörte Sekte“ hat der Schriftsteller Emile Cioran sie genannt, die „Legion Erzengel Michael“ oder „Eiserne Garde“, aber erst im nachhinein, erst als er selbst ihren Einfluß abgestreift hatte. Und dieses Abstreifen war ein mühseliger Prozeß, denn Cioran gehörte wie ein großer Teil der jungen rumänischen Intelligenz in der Zwischenkriegszeit zu den Anhängern der Legion und ihres charismatischen Führers, des „Capitan“ Corneliu Codreanu.

Im Westen hat man diese Bewegung immer nur mit einem gewissen Vorbehalt als „faschistisch“ bezeichnet, hat ihren eigenständigen Charakter betont, die ungewöhnlich starke Bedeutung des Christentums und die fehlende Modernität hervorgehoben. Aber die Basis für dieses Urteil war schmal. Das hatte einerseits, wie die Herausgeber Armin Heinen und Oliver Jens Schmitt in der Einführung des vorliegenden Sammelbandes betonen, mit der fehlenden Zugänglichkeit von Quellen in der Zeit des kommunistischen Regimes zu tun, hängt andererseits mit der Tendenz zusammen, das Thema im Rumänien der Gegenwart vor allem unter dem Aspekt der publizistischen Verwertbarkeit zu behandeln und jedes gründlichere Studium der Archivbestände für überflüssig zu halten. Diesen Defiziten soll nun abgeholfen und dazu beigetragen werden, einen fundierteren Überblick zur Geschichte der Legion zu liefern.

Codreanu als „Gott unter Sterblichen“ bezeichnet

Besondere Bedeutung kommt deshalb den Aufsätzen von Constantin Iordachi, Mihai Chioveanu und Rebecca Haynes zu, die sich mit der Gesamtentwicklung und den zentralen ideologischen Elementen im Denken der Legion befassen. Dabei macht Iordachi deutlich, daß deren Entstehung nicht zu erklären ist ohne Hinweis auf den unerwarteten Sieg Rumäniens an der Seite der Entente 1918. Denn die österreichischen und russischen Gebiete, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an Bukarest gingen, ließen ein Groß-Rumänien entstehen, das mit seiner Fläche auch die Bevölkerungszahl dramatisch erhöhte; an die Stelle der homogenen Population Alt-Rumäniens trat eine ausgesprochen heterogene.

Unter den Neubürgern waren es dann vor allem ethnische Rumänen, die sich zurückgesetzt fühlten und den Eindruck hatten, gegenüber anderen Gruppen – etwa den Juden – benachteiligt zu sein. Eine Vorstellung, die besonders unter Studenten um sich griff, die wegen der Bildungsexpansion in der Nachkriegszeit und den gleichzeitig verschlechterten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen auf eine angemessene Stellung hatten. Die Folge war, daß die liberale Oligarchie, die politisch den Ton angab, zunehmend unter Druck geriet, zuerst von seiten eines eher traditionellen Nationalismus, dann durch eine neue nationalrevolutionäre Tendenz.

Die 1927 gegründete „Legion Erzengel Michael“ als Sammelbecken dieser radikalen Opposition wies allerdings ein merkwürdiges Doppelgesicht auf: sie war moderner als ihre Mitbewerber insofern sie die bestehende Ordnung grundsätzlich in Frage stellte und die unteren Bevölkerungsschichten – kleine Bauern und Arbeiter – zu mobilisieren trachtete, sie wirkte aber gleichzeitig rückwärtsgewandter, da sie stärker auf die religiöse Überlieferung Bezug nahm und Rumänentum mit der Zugehörigkeit zur Orthodoxie identifizierte.

Bezeichnenderweise ging der Name der Legion auf eine Vision zurück, die Codreanu gehabt haben wollte. Seine Anhänger verstanden sich als „Heer des Erzengels“ im endzeitlichen Kampf gegen Kommunismus, Liberalismus und Judentum. Es ist dieser Sachverhalt auch deshalb zu betonen, weil er nicht nur wesentliche Elemente der legionären Weltanschauung, sondern auch den legionären Stil verständlicher macht, deren Führer anfangs in Volkstracht (erst später im Grünhemd nach dem üblichen faschistischen Muster oder in Lederkleidung) erschienen, deren Anhänger in Kreuzformation marschierten, oft begleitet von Priestern unter Mitnahme von Ikonen und Prozessionsfahnen, und Vorstellungen pflegten, die eher an eine Erweckungs- als an eine politische Bewegung denken ließen.

„Wir Legionäre sind Christen“, hieß es in einem programmatischen Text, „wir glauben an unseren Heiland Jesus Christus, wir glauben an den einen allmächtigen Gott, der Leben und Tod gibt und unser Schicksal lenkt, einen Gott, mit dem wir kommunizieren und interagieren und der doch außerhalb und über unseren menschlichen Normen steht.“ So rechtgläubig das klingen mochte, die eigentliche Dynamik erhielten derartige Ideen durch die Kombination mit anderen, die keine überlieferte Dogmatik deckte: etwa daß die Gefallenen der Legion Märtyrer oder Inkarnationen des Erzengels waren, daß der Capitan kein gewöhnlicher Mensch sei, sondern „ein Gott (...) unter Sterblichen“, dessen Auftritt in leuchtend weißer Kleidung auf weißem Pferd an den apokalyptischen Christus erinnern mußte, und dessen asketisch-mystische Lebensführung und mehr noch sein gewaltsamer Tod vielfach als Imitatio Christi verstanden wurden.

Popularität beim einfachen Volk wegen sozialer Arbeit

Der Entschluß Carols II., in der Nacht vom 29. auf den 30. November 1938 die Liquidierung Codreanus zu befehlen, hatte nichts mit dem Versuch zu tun, die alte Ordnung zu verteidigen. Vielmehr suchten die Anhänger einer Königsdiktatur den lästigen Konkurrenten auszuschalten, der bei dem eigenen Versuch zur Errichtung eines autoritären Systems störte. Es spielte die Angst eine wichtige Rolle, daß der Siegeszug, den die Legion als Partei „Alles für das Land“ bei den Wahlen angetreten hatte, zusammen mit der Popularität, die sie in der einfachen Bevölkerung wegen ihrer sozialen Arbeit genoß, und der sukzessiven Verbreiterung ihrer sozialen Basis (dazu die Beiträge von Heinen, Schmitt, Traian Sandu, Roland Clark, Wolfram Nieß im vorliegenden Band), zu einer Machtübernahme nach italienischem oder deutschem Vorbild führen konnte. Hinzu kam natürlich die Militanz der Legionäre, die sich gegen politische Gegner, aber vor allem gegen Rumänen jüdischer Herkunft und deren Besitz richtete (dazu der Beitrag von Radu Harald Dinu).

Interessanterweise erfährt man hier allerdings, daß die Zahl der von Legionären verübten Gewaltakte oft übertrieben dargestellt wird. Haynes weist darauf hin, daß zwischen 1924 und 1937 lediglich elf politische Morde verübt wurden, während im gleichen Zeitraum fünfhundert Legionäre starben; nach dem Mord an Codreanu fielen noch einmal dreitausend seiner Männer staatlichem Terror zum Opfer. Daß diese Tatsachen nichts gegen die Gefährlichkeit der Legion besagen, wurde 1940/41 erkennbar, als es den politischen Erben Codreanus gelang, eine „nationallegionäre“ Diktatur zu errichten, deren Brutalität sich nur wegen der Kürze der Zeit nicht vollständig entfaltete.

Daß dieses Thema im vorliegenden Band außerhalb der Betrachtung bleibt, ist Herausgebern und Mitarbeitern nicht anzulasten. Komplexe Sachverhalte bedürfen immer einer gewissen Beschränkung. Was dagegen problematisch wirkt, ist die Generalthese, die sich durch alle Beiträge zieht. Denn der regelmäßig wiederholte Verweis auf die charismatische Grundstruktur und den (pseudo-)religiösen Charakter aller faschistischen Bewegungen kann doch die Distanz nicht überbrücken, die zwischen dem Nationalsozialismus, der Anhängerschaft Mussolinis oder der spanischen Falange und der Legion bestand.

Auch die Betonung gewisser Ähnlichkeiten mit den Balkan- oder Klerikalfaschismen oder des subkutanen Einflusses der Action française wirken wenig überzeugend. Das hat vor allem damit zu tun, daß der Faschismus nur in Gesellschaften an Bedeutung gewann, die schon durch die Aufklärung hindurchgegangen waren. Seine Proklamation des „neuen Menschen“ war utopisch, nicht religiös fundiert wie die ehrliche, wenngleich bizarre und fallweise mörderische Gläubigkeit der Legionäre. „Wir machen keine Politik, und nie haben wir Politik gemacht“, schrieb Ion I. Mota, der diese Überzeugung als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg mit seinem Leben besiegelte: „Wir haben einen Glauben, wir sind Diener des Glaubens. Seine Flamme verzehrt uns.“

An einer Stelle des Bandes wird auf die Deutung der Legion als „orientalisches“ Phänomen hingewiesen. Vielleicht sollte man diese Möglichkeit doch ernster nehmen, als es die Autoren tun. Denn damit scheint tatsächlich ein entscheidender Punkt getroffen, insofern Codreanus Weltanschauung unter Einschluß von Todessehnsucht und Selbstopferbereitschaft wie eine Variante jenes Fundamentalismus wirkt, dessen Anziehungskraft dem Westen zwar schwer verständlich ist, der aber in machtvollen Überlieferungen wurzelt.

Armin Heinen, Oliver Jens Schmitt (Hrsg.): Inszenierte Gegenmacht von rechts. Die „Legion Erzengel Michael“ in Rumänien 1918–1938. Oldenbourg Verlag, München 2013, gebun-den, 400 Seiten, Abbildungen, 54,95 Euro

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