© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Pankraz,
H. Seehofer und die Sprache der Kinder

Pankraz hat einen Freund, der glücklich mit einer französischen Frau verheiratet ist und mit ihr Kinder hat. Als er ihm einmal die neidvolle Bemerkung machte, seine Kinder wüchsen ja nun zweisprachig auf und das sei eine tolle Hilfe für einen erfolgreichen Start ins Leben, antwortete der – zwar witzig, aber auch deutlich bekümmert –: „Nein, nicht zweisprachig, nur doppelt halbsprachig.“

Voller Sorge präzisierte er: Durch die innerfamiliäre Zweisprachigkeit lernten die Kinder „keine Sprache richtig“. Sie eigneten sich ihr Deutsch beziehungsweise Französisch seiner bisherigen Erfahrung nach nicht wirklich an, machten es nicht zu einem (höchst wichtigen, wahrscheinlich entscheidenden) Teil ihrer Identität, sondern benutzten die jeweilige Sprache lediglich als Kleid oder sportliche Ausrüstung. Am Ende seien sie wohl in keiner von ihnen richtig zu Hause, aber das sei doch das Wichtigste: daß man in einer Sprache zu Hause sei, sich in ihr spontan und wie selbstverständlich bewege.

An dieses Gespräch mußte Pankraz denken, als Ende vorigen Jahres die „Affäre Seehofer“ durch die Medien rollte. Seehofer hatte lautstark gefordert, Immigranten, die es mit dem Erwerb einer deutschen Identität ernst nähmen, sollten mit ihren Kindern zu Hause deutsch sprechen. Alsbald erhob sich ein riesiger Lachsturm in den „Qualitätszeitungen“ und in den Wandelgängen des Berliner Bundestages. Von der Linken bis in seine eigene Partei hinein erntete der Politiker nur Hohn und Häme und zog erwartungsgemäß schnell den Schwanz ein. Er habe es „nicht so gemeint“.

Wie er es gemeint hat, erfuhr man nicht. Dabei bietet das Thema eine Menge Facetten, von denen einige weit über die aktuelle Politik hinausreichen, indem sie wahrhaft an die Existenz von Völkern und Staaten rühren. Kinder sind die Garantie für das Überleben der Völker und Staaten, und die Erstsprache, die die Kinder erlernen, ist das wichtigste Kriterium dafür, daß ein Volk überhaupt eines ist und daß ein Staat auf Dauer existenzfähig sein kann. Vielsprachenstaaten (überwiegend „Vielvölkerstaaten“ genannt) haben sich, bis auf wenige kleine Spezialausnahmen (siehe Schweiz), als äußerst krisenanfällig erwiesen.

Längst hat die genetische Linguistik zutage gebracht, daß das Neugeborene zwar über eine staunenswerte Disposition zum Begreifen und eigenen Bilden von Sprache verfügt, daß diese Disposition jedoch nur voll funktioniert, wenn es von einer exklusiven Erstsprache gewissermaßen ummantelt ist; nur dann vermag es sprachliche Zusammenhänge bereits in allerfrühester Kindheit zu „durchschauen“. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, sind demnach in ihrer linguistischen Entwicklung keineswegs privilegiert, sie haben vielmehr ein Handicap, das durch spätere sorgfältige Sprach-erziehung ausgeglichen werden muß.

Man lernt – auch das hat die Linguistik mittlerweile enthüllt – fremde Sprachen um so genauer (nicht unbedingt schneller), je sicherer man seine Erstsprache, seine „Babysprache“, in den Griff bekommen hat. Deren Kern besteht ja nicht aus vom Zufall modulierten Alltagswörtern oder modischen Neologismen, sondern aus einer fest etablierten Grammatik, einem resistenten Stamm von Grundwörtern und einem reichen Arsenal von kultur- und literaturgeprägten Dauer-Metaphern und Analogien, die Struktur geben und auf die man sich verlassen kann.

Nur wer in seiner Kindheit mit einer Erstsprache regelrecht geimpft worden ist, kann später ohne allzuviel Mühe auch in weiteren Sprachen, die er erlernen muß, ein gewisses Niveau erklimmen, das über simple Gespräche beim Bäcker oder in der Disco hinausreicht. Die Forderung von Seehofer an integrationswillige Immigranten, zu Hause vor allem mit den Kindern deutsch zu sprechen, ergab also durchaus Sinn, guten Sinn. Nur war sie angesichts der gegenwärtigen Umstände völlig utopisch, weil undurchsetzbar und frontal gegen den herrschenden Zeitgeist gerichtet. Deshalb die wohlfeilen Lachstürme.

Kaum ein islamischer Familienvorstand in Dortmund oder Kreuzberg kommt heute ja auf die Idee, mit seinen Kindern primär deutsch zu sprechen – weshalb auch? Nicht Deutsch oder Französisch, sondern Arabisch, Türkisch und das pakistanische Urdu sind doch ganz offensichtlich auch in West-und Mitteleuropa die Sprachen der Zukunft. Es sind die Sprachen Allahs und der voraussehbaren Bevölkerungsmehrheiten, und für den Umgang mit anspruchsvolleren Ungläubigem hat man das Englische. Wozu dann noch Deutsch?

Die deutschen Einwanderungs- und Asylbehörden selbst legen immer weniger Wert auf ein auch nur halbwegs akzeptables Deutsch auf seiten der „Zuwanderer und Neubürger“ bei amtlichen Gesprächen und Texten. An immer mehr Sprachfakultäten arbeitet man, ermuntert von gut zahlenden Migrationslobbyisten, an der Herausarbeitung einer sogenannten „Kanaksprache“, einem plumpen Mischmasch aus Türkisch beziehungsweise Arabisch und diversen deutschen Kiezjargons (JF 50/14), der die deutsche Hochsprache verdrängen und ersetzen soll.

Hochsprache, so heißt es, sei ohnehin nur eine bürokratisch-herrschaftliche Fiktion; in der tagtäglichen Lebenswirklichkeit gäben allein die „echten Volkssprachen“ den Ton an, also die einheimischen Kiezjargons und zunehmend eben auch die Kanaksprache der Zuzügler und Asylbewerber. Die Bayern mit ihren deftigen Dialekten, so neulich Yazgül Șimșek vom „Centrum für Mehrsprachigkeit und Spracherwerb“ an der Uni Münster, sollten doch froh sein, daß ihnen jetzt die Kanakensprachler hilfreich an die Seite träten; gemeinsam werde man es schon schaffen, die „Hochsprache“ endlich zum Verschwinden zu bringen.

Pankraz ist da ganz anderer Ansicht, er liebt die Hochsprache und ihre kulturstiftende Literatur. Man muß sie retten – das ist eine zentrale Aufgabe der Politik im Jahre 2015. Auch die Bayern sollten sich dazu etwas Kluges einfallen lassen.

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