© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Grüße aus San Francisco
Warten auf den Knall
Elliot Neaman

Für die meisten Menschen, die im Umkreis der San Francisco Bay leben, ist die Gefahr des nächsten großen Erdbebens stets im Hinterkopf präsent.Wir haben uns jedoch daran gewöhnt – eins von vielen Problemen, mit denen man sich in Frisco früher oder später befassen muß. Nun aber wies eine neue geologische Studie nach, daß die Angelegenheit womöglich doch etwas dringender ist.

Forscher vom US Geological Survey und der San Francisco State University haben die unterirdischen Verwerfungen mit hochmodernen wissenschaftlichen Methoden untersucht und kamen zu dem Ergebnis, daß sich an mindestens vier der wichtigsten Erdbebenlinien in Kalifornien genügend Spannung aufgebaut hat, um ein Erdbeben auszulösen.

Wir sind wie die Bürger Pompejis, die gebannt zuschauten, wie der Vesuv zu qualmen begann.

Für die Gegend um San Francisco bietet wieder einmal vor allem die berühmt-berüchtigte San-Andreas-Spalte Anlaß zur Sorge. Weiter südlich verläuft die Puente-Hills-Verwerfung ausgerechnet durch eines der am dichtesten besiedelten Viertel von Los Angeles. Nach Berechnungen der Wissenschaftler könnte ein Erdbeben der Stärke 7,5 dort bis zu 18.000 Todesopfer fordern und eine Million Menschen obdachlos machen. Noch schlimmer könnte es den Bewohnern von Seattle ergehen, wo die Cascadia-Spalte unter dem Meeresboden von Nordkalifornien bis nach Vancouver Island verläuft.

Ein Erdbeben der Stärke neun würde hier einen gewaltigen Tsunami im Pazifik mit Wellen von bis zu 50 Meter an der Küste auslösen, der die ganze Stadt sowie zahlreiche weitere Orte entlang der Küste zerstören könnte. Bei einem ähnlich starken Tsunami im Jahr 1700 kam es zu einer Absenkung der Küste um cirka eineinhalb Meter.

Daß es sich bei diesen apokalyptisch anmutenden Szenarien um realistische Prognosen seriöser Wissenschaftler handelt, sollte die Bürger und Behörden vor Ort in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Doch weit gefehlt. Für ein Frühwarnsystem, das den Behörden bis zu einer Minute Zeit geben würde, Züge anzuhalten, Aufzüge zu räumen und Brücken und Tunnel zu sperren, fanden sich immer noch nicht die nötigen Finanzen. Viele meiner Bekannten haben nicht einmal die elementarsten Vorkehrungen getroffen: genug Lebensmittel und Wasser einlagern und die Werkzeuge bereithalten, um die Gaszufuhr zu unterbrechen. Wir leben wie die ahnungslosen Bürger von Pompeji, die 79 n. Chr. gebannt zusahen, wie der Vesuv zu qualmen begann.

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