© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Die Karten werden neu gemischt
Putins Außenpolitik (letzter Teil): Zentralasien hängt nicht nur am Rockzipfel Moskaus
Thomas Fasbender

Nach über zwanzig Jahren Unabhängigkeit geht das Zentrum Eurasiens einem Umbruch entgegen. Drei Themen bestimmen die kommenden Jahrzehnte: der rasch wachsende Druck islamischer Extremisten, die russische Hinwendung nach Asien und der politische und wirtschaftliche Einfluß der Chinesen. Entscheidend für die nächsten Jahre ist auch die Nachfolge der alternden Präsidenten in Kasachstan und Usbekistan, den beiden wichtigsten zentralasiatischen Ländern.

Der Kreml hat seine endgültige Strategie mit Blick auf die Staaten Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan bislang noch nicht gefunden. Allzusehr betrachtet man die Region aus dem Blickwinkel der ehemaligen Kolonialmacht. Präsident Wladimir Putin erklärte im vergangenen September unmißverständlich: Kasachstan bleibe nur dann Teil einer „globalen Zivilisation“, wenn es den russischen Einflußbereich nicht verlasse.

Offensichtlich ist Zentralasien selbst für Rußland noch „terra incognita“. Jedenfalls ist unwahrscheinlich, daß es Moskau gelingt, die Region allein mit einer slawozentrischen Politik an sich zu binden.

Kasachstan beunruhigt über Vorgänge in der Ostukraine

Zur Zeit gilt eher das Gegenteil. Insbesondere Kasachstan reagiert beunruhigt auf die Vorgänge in der Ost-ukraine. Rußland nimmt für sich in Anspruch, seine Landsleute im Ausland vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu bewahren. Nicht umsonst hat Putin das Auseinanderbrechen der UdSSR als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Während im Baltikum eine Million Russen leben, sind es in Kasachstan immerhin schon vier Millionen. Das sind zwar nur halb so viele wie in der Ukraine, aber sie besiedeln vor allem den Norden. Die fast 7.000 Kilometer lange Grenze zum russischen Mutterland ist weder historisch gewachsen noch durch Flüsse oder Höhenzüge markiert. 1920 wurde sie für die damalige Kirgisische Sowjetrepublik festgelegt. Eine kasachische Unionsrepublik der Sowjetunion gab es überhaupt erst ab 1936.

Die heutigen Grenzen sind auf die gleiche sowjetische Willkürpolitik zurückzuführen wie der Zuschlag der Halbinsel Krim zur Ukraine 1954. Als das Zarenreich sich im 19. Jahrhundert Schritt für Schritt nach Süden ausdehnte, lebten nur nomadisierende Turkvölker auf der endlosen Steppe. Noch weiter südlich lagen die uralten Städte der Seidenstraße, jede für sich eine unabhängige Herrschaft, ein Khanat: Samarkand, Buchara, Kokand, Chiwa, Merw und andere.

Diese Vergangenheit bestimmt noch immer die politischen Strukturen. Geht es um politische Loyalität, so haben die modernen Staatsgebilde noch die geringste Bedeutung. Ausschlaggebend ist der Clan, dem der einzelne angehört. Schon die kommunistischen Republik-Parteichefs entstammten den seit jeher führenden Familien. In Usbekistan stehen die Clans von Buchara und Samarkand in althergebrachter Konkurrenz. Ein Präsident wird immer aus einem der „großen“ Clans kommen, und er wird sein Umfeld so rasch wie möglich mit Vertretern seines Clans oder seiner Stadt füllen.

Der nach westlichem Verständnis „fortschrittlichste“ Staat unter den fünf genannten ist Kasachstan, sicher auch, weil nördlich der Seidenstraße keine gewachsenen Strukturen einer modernen Entwicklung im Wege standen. Nach dem Wegfall der Ukraine ist Kasachstan der Schlüsselpartner für Moskaus Eurasien-Strategie.

Dabei ist Astana bestrebt, Rußland auf Armeslänge zu halten. Das gilt besonders in Sachen Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepubliken. So hat Kasachstan bei der Krim-Abstimmung der Vollversammlung der Vereinten Nationen im März Rußland nicht unterstützt.

Kasachstan war auch das einzige GUS-Land mit Beobachtern bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen. Obendrein lehnte Astana es ab, die Einfuhrzölle für ukrainische Produkte anzuheben. In einem Fernsehinterview ging der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew so weit, für sein Land das Recht auf Austritt aus der Eurasischen Wirtschaftsunion zu reklamieren, falls diese die kasachische Unabhängigkeit bedrohe.

Usbekistan sucht verstärkt Nähe zu Moskau

Mit dem Rückzug der Amerikaner aus der Region wächst die Bedeutung Chinas als Pendant des russischen Einflusses. Die Chinesen ihrerseits sind vor allem an Bodenschätzen interessiert. Sie vergeben großzügig Kredite und kaufen sich in die Öl- und Gasindustrie ein. Eine Pipeline pumpt bereits 20 Millionen Tonnen kasachisches Rohöl im Jahr über mehr als 2.000 Kilometer ins chinesische Xinjiang.

Das südlicher gelegene Usbekistan lehnt sich derweil stärker an Rußland an. Es sucht neue, starke Partner. Nach dem Abzug der Amerikaner aus Afghanistan erwarten Beobachter einen steilen Anstieg des islamischen Extremismus in der gesamten Region, seien es Taliban oder Islamischer Staat (IS). Entsprechend begrüßte der usbekische Präsident Islam Karimow das wachsende Interesse der Russen an einem Engagement in Zentralasien: „Schon jetzt beobachten wir, wie IS-Kämpfer aus Syrien und dem Irak in Afghanistan einsickern.“

Bei seinem Besuch in Taschkent vor wenigen Tagen hat Putin dem Land 865 Millionen US-Dollar Schulden erlassen – im Gegenzug verpflichtet Usbekistan sich jedoch zum Kauf russischer Waffen. Der Handel kommt beiden Seiten zupaß, denn die USA hatten bereits signalisiert, aufgrund der Menschenrechtssituation keine Waffen mehr an Usbekistan liefern zu wollen.

Ob der 76jährige Karimow, der in seinem Land seit 23 Jahren mit eiserner Faust herrscht, sich im März 2015 erneut zur Wahl stellen wird, ist offen. Sein kasachischer Kollege Nasarbajew, 74 Jahre alt und ebenfalls seit 1991 in Amt und Würden, regiert noch bis 2016. In den beiden wichtigsten zentralasiatischen Ländern werden Moskau und China es über kurz oder lang mit neuen Köpfen zu tun haben. Dann werden die Karten neu gemischt.

 

Putins Außenpolitik

Moskau und Zentralasien

Zweiundzwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist es Zeit, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Was ist aus der Weltmacht geworden? Welche Interessen verfolgt Moskau? Wie ist das Verhältnis zu den Nachbarn? Teil eins beschäftigte sich mit dem Verhältnis Rußlands zum Westen (JF 3/13). Es folgten das Baltikum (JF 19/13), der Kaukasus (JF 30- 32/13) und Ukraine/Weißrußland (JF 48/13). Moskaus Politik in Zentralasien schließt die Reihe ab.

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