© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Jede Menge Stoff für Regierungskrisen
Jahresvorschau: Die Gemeinsamkeiten zwischen Union und SPD scheinen anders als das Konfliktpotential weitgehend aufgebraucht
Paul Rosen

Rußland, Eurokrise, Wirtschaftsschwäche, Energiewende, Islamischer Staat, Auslandseinsätze und möglicherweise nach Europa ziehende Seuchen: Die deutsche Politik dürfte kein ruhiges Jahr vor sich haben. Im Gegenteil: Jedes Stichwort bietet den Stoff für eine Regierungskrise. Und wenn Angela Merkel hoffnungsfroh sein sollte, am 22. November 2015 ihr zehnjähriges Amtsjubiläum feiern zu können, so gehört zu den nicht auszuschließenden Möglichkeiten, daß an jenem Tag 20.000 Demonstranten vor dem Brandenburger Tor stehen, die die Nase voll haben von der „vielfältigen“ und „toleranten“ Zivilgesellschaft sowie einer angeblich „alternativlosen“ Euro-Rettungs- und Zuwanderungspolitik.

Koalitionen sind keine Liebschaften, sondern Bündnisse auf Zeit. Irgendwann ist der Vorrat der Gemeinsamkeiten verbraucht. Dann geht nichts mehr. Die Große Koalition hat bereits 80 Prozent ihrer im Koalitionsvertrag aufgelisteten Arbeiten erledigt und mit Projekten wie Mindestlohn, Rente mit 63, Mütterrente und weiteren Wohltaten die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft erprobt und sich anschließend in Gestalt der Kanzlerin gewundert, daß der Mindestlohn zur Verlagerung von Investitionsplanungen der Wirtschaft ins Ausland führt.

Nicht ein einziges deutsches Problem wurde gelöst

Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) blieb halbherzig. Weitere Strompreissteigerungen bei sinkender Versorgungssicherheit sind absehbar. Zu den großen Problemen gehört auch, daß das vermeintliche Jobwunder vor allem aus zusätzlichen Arbeitsplätzen für moderne Tagelöhner besteht. Soziale Sicherheit wie noch in den siebziger und achtziger Jahren der alten Bundesrepublik gibt es heute nicht mehr. Außerdem wird die anhaltende Masseneinwanderung zu sozialem Sprengstoff führen.

Die Stimmung in der Koalition ist schlecht. Zuletzt hatte die Kinderporno-Affäre um den ehemaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy für neue Unruhe gesorgt (siehe Artikel auf dieser Seite). In der Union und besonders in der CSU, die wegen der Plaudereien über Ermittlungen einen Ressortchef (Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich) verlor, ist der Ärger riesengroß. Viele Abgeordnete fragen sich, warum die SPD so ungeschoren davonkommt. Die Bürgerlichen haben ohnehin den Eindruck, daß die Sozialdemokraten im ersten Jahr alle schönen Dinge durchgesetzt haben, während ihnen nur „keine Steuererhöhungen“ und die „schwarze Null“ im Haushalt blieben. In dieser gereizten Atmosphäre reicht ein Funke, um Merkels Koalitionshaus in Brand zu setzen.

Der Funkenflug kann aus allen Richtungen kommen. Die scharfen Sanktionen gegen Rußland haben den Präsidenten Wladimir Putin bisher nicht veranlaßt, sich von der Krim zurückzuziehen. Selbst Außenminister Steinmeier fragt jetzt nach dem Sinn von Sanktionen, die vor allem der deutschen Wirtschaft geschadet haben. Dem Handelskonzern Metro drohen schwere Verluste, wenn sein Rußlandgeschäft zusammenbrechen sollte. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht „immer tiefere Bremsspuren“ im Handel mit Rußland.

Die Energiewende wird dazu führen, daß bei den Energiekonzernen Eon und RWE das Licht ausgeht. Wenn hinzugerechnet wird, daß die Regierung durch die auf die Staatsverschuldung im Euro-Raum zurückgehende Finanzkrise bereits das Siechtum von zwei großen Banken (HRE und Commerzbank) zu verantworten hat, dann werden während Merkels Kanzlerschaft fünf große deutsche Konzerne zu Sanierungsfällen geworden sein. Gute Wirtschaftspolitik sieht anders aus.

Daß von der Eurokrise nicht geredet wird, heißt nicht, daß sie beendet wäre. Ein Zinsschritt in den USA, und der Euro geht noch stärker auf Talfahrt. Der bei steigenden Zinsen einsetzende Abschreibungsbedarf dürfte die Liste der Sanierungsfälle unter Banken und Versicherungen wachsen lassen, während die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank die deutschen Sparer bisher 300 Milliarden Euro gekostet hat. Die Deutschen haben massiv in Immobilien auf Pump investiert, und sie werden bei Zinserhöhungen ihr blaues Wunder erleben. Schon warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor einem „Bankenkollaps“.

Griechenland ist de facto pleite, aber Merkels Regierung traut sich

diese Wahrheit nicht auszusprechen. Die Angst vor Protestparteien, die 2015 in die beiden Parlamente von Hamburg und Bremen einrücken könnten, ist zu groß, auch wenn die Bedeutung der beiden Wahlen gering ist. Erst wenn Italien und Frankreich ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können, wird Merkel in ihrer Rücktrittserklärung einräumen müssen, daß sie dünnes Eis mit stabilen Fundamenten verwechselt hat. Das kann noch dauern – oder auch nicht. Fest steht nur, daß die Berliner Koalition nicht ein einziges deutsches Problem gelöst hat, so daß sich die Probleme ihre Lösungen suchen werden. Wie immer in der Geschichte.

Foto: Reichstag und Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel: Der Funkenflug kann aus allen Richtungen kommen

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