© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Überfluß für wenige, Sparsamkeit für viele
Analyse über die plutokratischen USA: Die „Dollarokratie“ untergräbt die demokratischen Fundamente der USA
Oliver Busch

Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres Imperiums rief der US-Politologe Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ aus, weil es ja fortan bis in alle Ewigkeit allein eine demokratisch und kapitalistisch harmonisierte Kosmopolis geben konnte.

Nach den Terrorangriffen auf New York und Washington am 11. September 2001 und nach US-Interventionen im Mittleren Osten mußte Fukuyamas universalistische Prognose jedoch der 1993 verkündeten Theorie des Harvard-Professors Samuel P. Huntington weichen, der für das 21. Jahrhundert den „Kampf der Kulturen“ vorhergesagt hatte.

Außerhalb der akademischen Welt verschaffte sich der blamierte Geschichtsphilosoph Fukuyama erst wieder 2010 Gehör, als er in einem Essay „Ist Amerika eine Plutokratie?“ analysierte, was die US-Finanzkrise ihm offenbarte. Die Frage war rein rhetorisch: Wenn Plutokratie im Sinne der klassischen aristotelischen Definition Herrschaft der Reichen oder deren unverhältnismäßig großer politischer Einfluß bedeute, dann, so dekretierte Fukuyama, müsse sie für die USA „klipp und klar“ mit „Ja“ beantwortet werden. Dieser Befund, dem eine deutlich höhere Plausibilität eignete als seiner verfrühten Proklamation der geschichtslosen Weltgesellschaft, fand auf breiter Front Eingang in die politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurse über die globalisierte Zukunft „postdemokratischer“ Gesellschaften.

Daran anknüpfend beschreibt auch der New Yorker Publizist John Nicols die gegenwärtige politische Verfassung der USA als Plutokratie (Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2014). Deren Credo, Überfluß für wenige, Sparsamkeit für viele, habe seit ihren Ursprüngen in der Wirtschaftspolitik Ronald Reagans massive Ungleichheit, gravierende Armut, Umweltzerstörung und Gewalt nicht nur in den USA generiert. Unabhängig, wer von ihnen den Präsidenten stellte, so zitiert Nicols Fukuyama, setzten Demokraten und Republikaner den „neoliberalen Schwindel“ des „Marktfundamentalismus“ stets als brave Büttel der „Herren des Geldes“ politisch um. Kein Wunsch der „Milliardäre“ sei daher unerfüllt geblieben: weder Rettungspläne für die Wall Street, noch Verzicht auf Steuererhöhungen, eine „investorenfreundliche wie lokal verheerende Freihandelspolitik“ oder Einschnitte in soziale Sicherungssysteme.

Neben den Parteien macht Nicols Justiz und Presse für die „Aushöhlung“ der US-Demokratie verantwortlich. Der Oberste Gerichtshof habe 2010 in einem Urteil, das finanzkräftigen Lobbyisten unbegrenzten Zugriff auf Wahlpropaganda erlaubte, das Tor zur „Dollarokratie“ weit aufgestoßen. Wer heute massiv in TV-Werbung investiere, verfüge über mehr Macht denn je zuvor in der Geschichte des US-Fernsehens und könne sich Wahlen und Kandidaten einfach kaufen.

Die Medien nehmen daher unter dem Druck der Geldinteressen ihre Aufgabe als „vierte Gewalt“ nicht mehr wahr. Der „dahinschwindende und parteiische“ Journalismus verteidige nicht länger öffentliche Interessen, berichte nicht über die großen Themen der Politik und stecke folglich, ähnlich wie in Europa, in einer tiefen Krise. Da die Geldgeber Informationsbeschaffung nicht fördern, schrumpfen Nachrichtenredaktionen. Entsprechend sei das Radio bereits keine Informationsquelle mehr, sondern lediglich ein Unterhaltungsmedium.

Die Entpolitisierung der „verfaulenden Strukturen der Zivilgesellschaft“, die Entmündigung des Wählers schritten voran. Folglich lockten die von den „Machenschaften der Millionäre“ geprägten Wahlen immer weniger Bürger an die Urnen. Was die Wahlbeteiligung angehe, landeten die USA im weltweiten Vergleich regelmäßig auf unteren Plätzen. Der Traum von repräsentativer, geschweige partizipativer Demokratie sei ausgeträumt, da die politikverdrossene Mehrheit den in Washington herrschenden „reichen Eliten“ das Feld geräumt habe.

Um das „Scheitern der Demokratie“ dennoch aufzuhalten, so hofft Nicols, müßten die sich gerade organisierenden „Graswurzel-Gruppen“ expandieren. Dem stehe aber leider der fest verankerte, fatalistische „Irrglaube“ entgegen, „radikale Reformen“ gegen die Macht der Konzerne, der Politik- und Medienkartelle nicht umsetzen zu können.

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