© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Theaterluft durchwehte das Haus
Stärker als die Summe seiner schwächelnden Teile: Donizettis „Der Liebestrank“ an der Deutschen Oper Berlin
Sebastian Hennig

Mit schönen Bildern geht diese Inszenierung von Donizettis „Der Liebestrank“ (L’Elisir d’Amore ) an der Deutschen Oper Berlin los. Bevor die ersten Takte der Musik erklingen, ist auf offener Bühne das Lager einer fahrenden Schauspieltruppe zu erblicken. Wagen umstehen eine Bühne auf der Bühne. Die Fabel um den schüchternen Bauern Nemorino und die ebenso schöne wie reiche Gutsbesitzerin Adina ist hier von Regisseurin Irina Brook (Kostüme: Sylvie Martin-Hyszka) in das leichtlebige Soldaten- und Komödiantenmilieu verlegt. Somit wird auch die flatternde Musik dieser 1832 in Mailand uraufgeführten komischen Oper glaubhafter. Jeder Anflug von Tragik, der leicht in unfreiwillige Komik übergreifen kann, war vermieden.

Aller Farbigkeit zum Trotz ließ das bemessene Vermögen der Sänger den ersten Akt zu einer fast betrüblichen Angelegenheit werden. Nach der Pause erst begann das Ganze weit stärker zu wirken als die Summe seiner schwächelnden Teile. Die auf der Bühne beschworene Theaterluft durchwehte bald das ganze Haus an der Bismarckstraße. So glättete sich Ungefüges und zauberte sich eine Welt herbei, deren Integrität mit Kritik an Einzelpunkten nicht mehr beizukommen war. Der Chor war ohnedem gut, und Alexandra Hutton als Gianetta, eine Stipendiatin des Förderkreises in der kleinsten der großen Rollen, ragte als überraschend gut aus dem Kreis der sonst sehr mäßigen Sänger hervor.

Oft wirkt dieses leichtsinnig-heitere Stück einfach durch gutes Sängertheater bemerkenswert. Phänomenale Stimmen spannen neue Wege über Abgründe der Banalität, wo die destruktive Regie alle Brücken hinter sich abgerissen hat. Hier war es tatsächlich einmal umgekehrt, und eine angemessene Regie hat dem Stück Fassung gegeben.

Das Orchester der Deutschen Oper unter Roberto Rizzi Brignoli war samtweich und seidig, fern jeder Aufdringlichkeit. Es war so leicht, daß es fast schon leise war. Ein zartes Wehen fächelte aus dem Graben hervor zwischen die Stimmen und frischte nur gelegentlich zur Brise auf. Virtuos wurde die volkstümliche Bühnenmusik im zweiten Akt mit dem Orchester zusammengeführt. Das harmoniesüchtige, alteingesessene Berliner Stammpublikum kam bei der Premiere des Stücks im April dieses Jahres voll auf seine Kosten. Und wer hat das Recht, ihm dies zu wehren?

Für die herzlähmende Häßlichkeit der Architektur in diesem während des Krieges plattgebombten Bezirk Charlottenburg ist die Oper das Symbol. So gibt es nichts Schöneres und Erhebenderes, als wenn in dieser barbarischen Kiste einmal frohgemute Volksoper stattfindet, Männlein und Weiblein in ihrem dunklen Drang zueinander so herrlich-herzlich urgesund sich zeigen dürfen. Das hat Anmut und macht Mut für das Fortbestehen des Musiktheaters als einer Einrichtung.

Die nächsten Vorstellungen von„Der Liebestrank“ an der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, finden am 22., 29. und zweimal am 31. Dezember statt. Telefon: 030 / 343 84-343

www.deutscheoperberlin.de

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