© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Der Leonardo da Vinci unter den Mixern
Thermomix: Eine Küchenmaschine von Vorwerk und Youtube revolutionieren das Kochen und sind Gesprächsthema auf jeder Party
Markus Brandstetter

Früher war das mit Vorwerk so: Ein Mann mittleren Alters klingelte an der Haustür und fragte höflich, ob die Dame einen neuen Staubsauger bräuchte. Der Staubsauger, den er dann vorführte, war groß, grün, stark und technisch vom feinsten. Er war auch sehr teuer, weil er von der Firma Vorwerk kam, die sich auf gute, teure und robuste Haushaltsgeräte im Direktvertrieb spezialisiert hat. Oft haben Kunden den großen, grünen Vorwerk-Staubsauger mit dem Traktormotor und dem ungewöhnlichen Namen „Kobold“ dann gekauft, weil die Verkäufer immer außergewöhnlich nett und kompetent auftraten und die Staubsauger ja wirklich gut saugten.

Irgendwann hatte dann aber jeder, der es sich leisten konnte, seinen kräftigen Vorwerk-Staubsauger. Gemäß überlieferter Betriebswirtschaftslehre hätte es mit dem Unternehmen nun eigentlich nach unten gehen sollen, da der Markt gesättigt und in seine Reifephase getreten war, und in der Reifephase sinken laut orthodoxer Lehre Preise und Erträge.

Viele Hersteller von Staubsaugern hat diese Phase dann auch wirklich kalt erwischt, aber nicht die Firma Vorwerk aus Wuppertal. Vorwerk hat sich nämlich nach der Staubsauger-Marktsättigung gewissermaßen selbst neu erfunden. Klar, die Staubsauger gibt es immer noch. Sie heißen auch noch Kobold, sind aber jetzt nicht mehr grün und klobig, sondern weiß und aerodynamisch. Sie sind immer noch sehr kräftig, und manche arbeiten jetzt von ganz allein, andere sogar mit einem Akku. Aber die Staubsauger haben Vorwerk nicht gerettet. Das hat allein der Thermomix getan.

Der Kunde merkt schon an dem Ausdruck „Thermomix“, daß wir es hier nicht mehr mit einem Gerät zu tun haben, sondern einem Mythos. Der Thermomix ist eine Küchenmaschine, aber keine normale, sondern gewissermaßen der Leonardo da Vinci unter den Küchenmaschinen. Küchenmaschinen gibt es seit siebzig Jahren, und alle können sie Teig kneten, Gemüse schneiden, Karotten raspeln und Rüben häckseln. Das kann der Thermomix auch, aber wie das „Thermo“ im Namen schon andeutet, kann der Thermomix auch kochen, dampfgaren, erhitzen, emulgieren und sogar wiegen.

Wer noch nicht weiß, wie ein Thermomix funktioniert und was er mit der Wundermaschine alles anstellen kann, der muß dazu nicht mehr wie früher Bedienungsanleitungen in holprigem Technodeutsch („Wenn Schalter auf der Rückseite, dann einschalten, sonst vorne oder anders“) oder Kochbücher dick wie Lexika studieren. Nein, wer den Thermomix kennenlernen will, der schaut einfach der Thermifee im Internet beim Häckseln, Schreddern, Dünsten und Rühren zu.

Keine Bedienungsanleitung in holprigem Technodeutsch

Die Thermifee heißt im echten Leben Stefanie Holtz, wohnt irgendwo im Sauerland und hat in den letzten drei Jahren Hunderte von Videos auf Youtube hochgeladen, auf denen sie und natürlich der Thermomix beim Kochen zu sehen sind. Wer diese Videos studiert, lernt, daß er mit dem Thermomix vom Nudelauflauf über Holunderblütensaft, Garam-Masala-Hähnchen, Erbsen-Möhren-Eintopf bis zu Mandelplätzchen so gut wie alles machen kann. Stefanie Holtz’ Video-Kanal hat 14.000 Abonnenten, allein ihr Pilotfilm (Thermomix – die erste Begegnung) wurde bis jetzt 145.000mal angeschaut.

Dieses Interesse am Thermomix, mit dem keine Marketing-Abteilung der Welt gerechnet hatte, bringt der Firma Vorwerk enorme Umsätze und Erträge. Fast 2,5 Milliarden Euro hat die Vorwerk-Gruppe mit 12.300 Mitarbeitern im Jahr 2012 umgesetzt und ist dabei mit einer Eigenkapitalquote von 64 Prozent überaus gut etabliert. Vorwerk wurde 1883 in Barmen bei Wuppertal gegründet, zuerst als Teppichfabrik und Hersteller von Möbelstoffen.

Später hat das Unternehmen Haushaltsgeräte, Einbauküchen, Finanzdienstleistungen und sogar Kosmetika in sein Portfolio aufgenommen. Den Thermomix gibt es bereits seit 1971, aber so richtig zum Renner wurde das Gerät erst in den letzten zehn Jahren. 2013 hat Vorwerk allein in Deutschland 220.000 Stück davon verkauft, weltweit waren es über 800.000. Inzwischen werden in jeder Minute irgendwo auf der Welt zwei Geräte verkauft. In Portugal wurden 2012 mehr Thermomixer verkauft als iPads, und in Madrid hat jeder fünfte Haushalt einen Bimby, wie das Gerät dort heißt.

Linken Medien, denen Kochen als bieder und Frauen am Herd als zurückgeblieben gelten, rätseln seit Jahren, wie ein Gerät, das mehr als 1.000 Euro kostet und hauptsächlich von Frauen vertrieben und gekauft wird, einen solchen Erfolg haben kann. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Kochen, eine schöne Küche und ein gemütliches Heim, mit einem Wort: bürgerliche Lebensart, sind schon seit Jahren wieder in und auch noch supercool. Kochsendungen im Fernsehen gehören zu den beliebtesten überhaupt, jedes fünfte verkaufte Buch ist ein Kochbuch, und für satte 81 Prozent aller Deutschen ist eine schicke Wohnküche mit das Wichtigste an Haus und Wohnung.

Da ist es richtig gut, daß der Zeit-Journalist, der den Thermomix unlängst als „bieder wie die alte BRD“ abqualifizierte, nicht in der Marketing-Abteilung bei Vorwerk arbeitet, denn sonst wäre den Wuppertalern doch glatt ein Jahrhunderttrend entgangen.

Foto: Thermomix, Vorwerk-Kundinnen: 2013 wurde er 800.000mal verkauft

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