© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Die schlimmsten Ängste werden bestätigt
Australien: Nach der Terrornacht in Sydney ringt das Land um Normalität, doch die Furcht vor islamistischen Anschlägen bleibt bestehen
Christian Schreiber

Am Tag nach der blutigen Geiselnahme war das Entsetzen groß. Selbst viele Moslems legten vor einem Café im australischen Sidney Blumen nieder. Am vergangenen Montag hatte sich ein 50jähriger Mann in einem Café in der Innenstadt von Sydney verschanzt und mehr als ein Dutzend Geiseln gefangengehalten.

Über seine genauen Motive kann Man Haron Monis keine Auskunft mehr geben. Der aus dem Iran stammende Islamist, der 1996 in Australien Asyl erhielt, wurde ebenso wie zwei Geiseln bei der Erstürmung des Lokals erschossen. Sein Anwalt erklärte, er sei ein Einzeltäter gewesen. Doch in Erscheinung getreten war er schon öfter. Gern schickte er Haßbriefe an die Familien im Irak gefallener Soldaten. Sowohl in Sicherheitskreisen als auch in der moslemischen Gemeinschaft war er kein Unbekannter. Sydney ist die größte Stadt Australiens, von ihren vier Millionen Einwohnern sind rund vier Prozent Moslems, sie unterhalten 20 Moscheen. Einige stehen unter dem Verdacht, Nährboden für radikale Islamisten zu sein.

Politik fordert zu erhöhter Wachsamkeit auf

Der Überfall von Sydney hat die Australier in ihren schlimmsten Ängsten bestätigt. Jahrzehntelang galt „Down Under“ als Musterbeispiel eines einwanderungsfreundlichen Landes, war stolz auf seine liberalen Traditionen.

Doch bereits 2002 bekam das Bild Risse. Damals verübten Terroristen aus dem Umfeld des Terrornetzwerkes al-Qaida ein Attentat auf eine Diskothek auf der indonesischen Insel Bali, einem der beliebtesten Urlaubsziele der Australier. 202 Menschen kamen ums Leben, darunter 88 Australier. In einem Bekennerschreiben gaben die Terroristen an, sie wollten mit dem Attentat Rache dafür üben, daß die australische Regierung den Kampf Osttimors für die Unabhängigkeit von Indonesien unterstützt hatte.

Seitdem verschärft die australische Politik die Tonart. Mittlerweile besitzt das Land eines der schärfsten Einwanderungsgesetze der Welt. Für Wirbel sorgte vor einigen Monaten ein Video, in dem ein Marine-Offizier Flüchtlingen erklärte, daß Australien niemals ihre Heimat werde. Dieser Spot, im Auftrag der Regierung erstellt, wurde über Internet millionenfach verbreitet und löste zahlreiche Protestaktionen von Menschenrechtsorganisationen aus (JF 44/14).

Doch die Situation war bereits außer Kontrolle geraten. Dies liegt vor allem daran, daß Australien stets als Verbündeter der USA agierte und Truppen in die Kriegsgebiete des Iraks und von Afghanistan entsandte. Sicherheitsbehörden warnen seit Jahren davor, daß sich Australien zu einem der beliebtesten Terrorziele von Islamisten entwickeln könnte. So wurde die Terrorgefahr im Land schon vor der Geiselnahme in Sydney auf die höchste Stufe angehoben. Premierminister Tony Abbott erklärte, dem Geheimdienst lägen Informationen vor, nach denen es in Australien zahlreihe „Menschen mit der Absicht und den Mitteln gebe, Anschläge auszuführen“. Und der frühere Geheimdienstchef David Irvine warnte vor einem Anschlag, „der die Vehemenz des Bali-Attentats haben könnte“.

Anzeichen für eine Eskalation gab es in den vergangenen Jahren zuhauf. Schon 2003 wurde der pakistanisch-australische Architekt Faheem Khalid Lodhi festgenommen. Der Mann, der in einem Terrorlager in Pakistan trainiert hatte, beabsichtigte, mit Bombenanschlägen das Stromnetz von Sydney lahmzulegen und mehrere Kasernen anzugreifen.

Unter dem Eindruck dieses Vorfalls hatte die Regierung 2005 ein eigenes Terrorgesetz erlassen. Doch das stachelte die Extremisten nur noch mehr an. Als möglicher Drahtzieher gilt der algerischstämmige Imam Abdul Nacer Benbrika, der in einer Moschee in Melbourne predigte. Berühmtheit erlangte er, als er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einem Interview mit dem TV-Sender ABC Osama Bin Laden „als großartigen Mann“ gefeiert hatte. Benbrika stand unter dem Verdacht, Attentate auf öffentliche Einrichtungen geplant zu haben, er wurde 2009 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch hinter Gittern entwickelte er sich erst recht zur Ikone. Zahlreiche Anhänger besuchten ihn im Gefängnis, einige von ihnen schlossen sich später der Terrororganisation Islamischer Staat in Syrien und im Irak an. Zum Gotteskrieger ausgebildet, kehrten sie irgendwann wieder zurück. Ministerpräsident Abbott unterstrich unlängst, daß sich diese Rückkehrer „zu einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko“ entwickelt hätten. Nach Terrorwarnungen im September nahmen Sicherheitskräfte 15 Personen fest, die geplant haben sollen, wahllos einen Bürger auf der Straße anzuhalten und diesen vor laufender Kamera zu enthaupten. Die Personen, die derzeit vor Gericht stehen, sollen ebenfalls zum Islamischen Staat gehören. Die Aufforderung zu diesem Anschlag soll von einem australischen Staatsbürger gekommen sein, der eine hohe Position in dem Terrornetzwerk innehabe.

Angesichts dieser Häufung hat Ministerpräsident Abbott unter dem Eindruck der Geiselnahme von Sydney seine Landsleute zur Wachsamkeit aufgefordert und in einem TV-Interview erklärt, „daß unsere Maßnahmen bei der Einwanderungspolitik und der Terrorbekämpfung richtig und wichtig waren und sind“. Widerspruch kam von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Diese befürchten, „daß sich ein Klima der Intoleranz entwickelt und Moslems unter Generalverdacht gestellt werden“.

Fotos: Moslems legen Blumen am Tatort nieder: Viele fürchten, unter Generalverdacht gestellt zu werden; Man Haron Monis: Haßbriefe für Familien von Gefallenen

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