© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Demokratie statt Gerechtigkeit
Christian Dorn

Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten – das psychoanalytische Theorem Sigmund Freuds entstammt dem vielbeschworenen Gedenkjahr 1914. Doch was bedeutet diese Trias für das Selbstverständnis der Bundesstiftung Aufarbeitung? Vor allem: Was heißt es für die Opfer und Täter der DDR-Diktatur? Keine Woche nach der Wahl Bodo Ramelows (Linkspartei) zum Ministerpräsidenten von Thüringen diskutierte die in Berlin-Mitte ansässige Institution unter dem Titel „Recht und Gerechtigkeit“ über den „Umgang mit dem SED-Unrecht im vereinten Deutschland“. Bundespräsident Joachim Gauck, der hier noch Anfang 2012 – wenige Tage vor seiner Nominierung für das Amt – im Gespräch mit György Dalos vor linken Rechtfertigungen gewarnt hatte, da solche so reaktionär wie rechte seien, beklagte damals den abhanden gekommenen Konsens in der Ablehnung des Kommunismus, der 1990 noch existiert habe. Heute hingegen sei dieser fast wieder salonfähig (JF 11/12).

Zwei Jahre danach ist aus der Befürchtung bittere Realität geworden, der sich Gauck in seiner neuen Rolle unversehens anverwandelt, indem er gegen Vera Lengsfeld mahnend das Wort erhebt: „Wir wollen doch hier nicht einfach ein Linken-Bashing betreiben.“ Schließlich gehe es nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um Demokratie. Deren Rechtsstaat, so hatte Lengsfeld zuvor argumentiert, werde vom linken Ministerpräsidenten Ramelow nicht respektiert, was seine Blockade einer Demonstration in Dresden beweise. Thüringen werde jetzt, gemessen an den tatsächlichen Wählerstimmen, von einer „Verliererkoalition“ regiert. Geradezu als Weissagerin präsentierte sich die Bürgerrechtlerin, da sie im November 1996 Bündnis 90/Die Grünen verlassen hatte, weil die Partei eine künftige Koalition mit der PDS nicht ausschließen wollte. Lengsfelds Prophezeiung, die Grünen würden dies sofort tun, selbst wenn sie nur eine Stimme Mehrheit hätten, wurde nunmehr bestätigt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sah Ramelow dagegen nur als ein Symptom. Viel besorgniserregender sei der Aufstieg der Linken in den neuen Bundesländern zur linken Volkspartei.

Von dieser erwartete Gauck jetzt konkrete Schritte zur Aufarbeitung, so sollte über die neuen Curricula in Thüringens Schulen gewacht werden. Daß die Willkürherrschaft der SED-Diktatur hier tatsächlich abgebildet werden wird, dürfte wohl ein frommer Wunsch bleiben, wie ein Beispiel des Psychiaters und Psychotherapeuten Jakob Hein illustrierte.

Dieser war als Jugendlicher für 48 Stunden der Polizei „zugeführt“ worden, weil er quer über die Straße gelaufen war und damit offenbar Ordnung und Sicherheit der Arbeiter- und Bauerndiktatur gefährdet hatte. Mit Blick auf die zahllosen beschädigten DDR-Biographien, für deren Rehabilitation es – so der allgemeine Tenor – keine rechtliche Handhabe gebe, hatte Hein ein unversöhnliches Wort: „Das ist wie Atommüll, der hinterlassen wurde.“ Gauck repetierte indes sein unerschütterliches Mantra, „daß uns Wahrheit frei macht“.

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