© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Nachlässe und Nachlaßpolitik: Vorstrukturierte Wunschbiographien
Vorsicht vor gesäuberten Lebensläufen
(ck)

Die nach 1968 in Mode gekommene Ausrichtung der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft als „kritische Sozialwissenschaft“ hat das Genre der Biographie lange als „individualistisch“ oder „literarisch“ verpönt. Erst in den 1990er Jahren erfuhr biographisches Schreiben unter Historikern eine bemerkenswerte Renaissance. Anders als von ihren Gegnern behauptet, konnte die personenzentrierte Forschung nämlich zeigen, daß sich aus der Verknüpfung des individuellen Lebenslaufs mit gesellschaftlichen Zusammenhängen wissenschaftlich objektivierbare Erkenntnisse gewinnen lassen. Wie Wilhelm Füßl, Archivar am Deutschen Museum in München, darlegt, sollten Biographen jedoch nur bedingt auf Nachlässe als unmittelbare, daher vermeintlich solide Basis ihrer Arbeit vertrauen (Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 2/2014). Am Beispiel der Nachlässe der Naturwissenschaftler Ernst Mach (1838–1916), Walther Gerlach (1889–1979) und Philipp Lenard (1862–1947) könne demonstriert werden, wie Gelehrte und ihre Erben mit ihrer Hinterlassenschaft das Bild der Nachwelt von sich beeinflussen wollen. „Vorstrukturierte“, nicht selten selbst oder von den Erben „gesäuberte“ Nachlässe eigneten sich daher besonders zur Manipulation von Biographen und zur Schaffung von „Wunsch-“ oder „Idealbiographien“.

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