© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Schleier der Intimität
Nackte Brust: In England ist eine Kontroverse um eine in aller Öffentlichkeit stillende Mutter entbrannt
Richard Stoltz

Tagelang gab es in der Londoner Presse kaum ein anderes Thema als den „Fall Lou Burns“. Lou Burns (35) hatte mitten im dichtbesuchten Café des vornehmen Claridge’s-Hotels ihre Bluse aufgeknöpft und ihr zwei Monate altes Baby gestillt. Ein Oberkellner kam und bot ihr eine leichte Decke an, um den intimen Vorgang ein bißchen zu verhüllen. Aber die Frau weigerte sich.

Sie ließ sich sofort mit nackter Brust und nuckelndem Baby fotografieren und machte die Bilder via Twitter öffentlich. Dazu deftige Kommentare gegen die „bornierte Altmännerwelt“, die von mangelnder Diskretion spräche, obwohl es sich doch „um die natürlichste Sache der Welt“ handele. Umgehend meldete sich die britische Regierung in Gestalt des stellvertretenden Kabinettchefs Nick Clegg zu Wort und verlautbarte, Großbritannien brauche „ein Umfeld, in dem Mütter sich gut damit fühlten zu stillen, und das sei jedem zuzumuten, auch Männern von 18 bis über 80“.

Die politischen Parteien stimmten eifrig zu, bis auf eine: die zur Zeit mächtig aufstrebende oppositionelle Ukip. Deren Vorsitzender Nigel Farage sagte laut Guardian, natürlich sei das Stillen eine großartige Sache, doch es gehöre nun mal nicht in die große Öffentlichkeit. Sämtliche Medien stürzten sich daraufhin auf ihn, als sei er der Gottseibeiuns und seine Ukip die reinste Hölle.

Trotzdem hat Farage völlig recht; der geradezu obszöne Verlauf der Affäre bestätigt ihn nur. Es gibt hochwichtige natürliche Vorgänge, um die ein feiner Schleier der Intimität und der Diskretion gewebt ist; das Bild der stillenden Mutter mit ihrem Kind gehört dazu. Wer es – und sei es die Mutter selbst – ungeniert in die Medien hievt und damit sogar Politik macht, beweist damit vor allem schlechten Geschmack.

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