© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Pankraz,
der Kinderblick und das Spenderglück

Vorweihnachtszeit – Spenderzeit. Die Postkästen quellen über von Briefen, die um eine milde Gabe für die Bedürftigsten der Bedürftigen bitten: SOS-Kinderdörfer, Unicef, Ärzte ohne Grenzen, Deutsches Rotes Kreuz, Die Sternsinger, Misereor, Brot für die Welt, Deutsche Welthungerhilfe, Adveniat, Deutscher Caritasverband … Sie alle melden sich in tadelloser Formulierung zu Wort, herzergreifende Bilder von hungernden kleinen Kindern mit großen Augen sind beigefügt nebst schon ausgefüllten Überweisungsscheinen, auf denen man nur noch die Summe einsetzen muß.

Im Fernsehen gibt es prächtigst arrangierte „Spenderabende“ unterm Weihnachtsbaum. Singende und Spaß machende Superstars wechseln sich ab, dazwischen Politiker und andere Promis, die an unsere Spendenbereitschaft appellieren, mild mahnende Kirchenleute, gut gelaunt polternde Comedians – und in präzis kalkulierten Abständen immer wieder Bilder aus den Schreckenszonen dieser Welt, von Projektoren überlebensgroß an die Wände geworfen: die hungernden kleinen Kinder, ihre ratlos blickenden großen Augen.

Die Deutschen lieben solche zwischen äußerer Pracht und weichem Herzen pendelnden „Wohltätigkeitsveranstaltungen“. Sie sind Weltmeister nicht nur im Fußball, sondern auch im Spenden, vor allem in der Weihnachtszeit. Die Deutsche Gesellschaft für Konsumforschung hat jüngst – wie könnte es anders sein – eine Studie über die „Bilanz des Helfens“ in Auftrag gegeben, und dieser Bilanz zufolge sollen im vorigen Jahr inklusive der Weihnachtszeit über sechs Milliarden Euro gespendet worden sein. Für 2014 erhofft man sich eine deutliche Steigerung dieser Summe.

Es läßt sich nicht mehr übersehen: Der Zug zur Wohltätigkeit hat eine regelrechte Wohltätigkeitsindustrie hervorgebracht, mit unzähligen Bürokraten und weiteren festangestellten Arbeitnehmern. Hierzulande gibt es mittlerweile rund 70.000 eingetragene gemeinnützige Vereine vom Schlage SOS-Kinderdörfer und an die 15.000 einschlägige Stiftungen, wobei deren „Gemeinnützigkeit“ keineswegs immer klar einzuschätzen ist. Auch die ordnungsgemäße Verwendung der von ihnen eingesammelten Spenden ist kaum kontrollierbar, aller behördlich ausgestellten „Spendensiegel“ zum Trotz.

Was heißt überhaupt „gemeinnützig“? Der Begriff der Spende fällt nicht darunter, er ist dem deutschen Zivilrecht unbekannt. Handelt es sich um eine „Schenkung“? Oder um eine „Zuwendung“? Kann der Spender seine Gabe eventuell steuerlich absetzen? Juristische Vorbedingung dafür ist, daß seine Spende „der Förderung mildtätiger kirchlicher, religiöser oder gemeinnütziger Zwecke dient“. Der Abzug der Spenden ist davon abhängig, ob der Spendenempfänger eine „juristische Person des öffentlichen Rechts“ ist oder eben eine als gemeinnützig anerkannte Organisation. Man dreht sich im Kreise.

Freilich könnte man sagen: Was geht das alles den einzelnen Spender an? Er greift, angerührt von den großen Kinderaugen, spontan tief in die Tasche und trägt auf dem Überweisungsschein eine für seine Verhältnisse ordentliche Summe ein. Damit scheint die Sache für ihn getan – ist sie aber nicht. Die Spende fließt ja nicht direkt und überschaubar an die Hungernden, sondern landet zunächst auf den Konten riesiger, hochkomplizierter Organisationen, die durchschnittlich dreißig Prozent des spendierten Geldes für sich selbst in Anspruch nehmen müssen, um existieren und funktionieren zu können.

Hinzu tritt der Umstand, daß die meisten der Spenden für die Linderung von Zuständen in fernen Ländern bestimmt sind. Dort treffen die hiesigen Spenderorganisationen auf einheimische Politiker und Bürokratien, mit denen zusammen sie die Verteilung organisieren müssen und von deren Entscheidungen sie abhängig sind. „Die Hilfeleistungsindustrie“, erklärte vorige Woche der dafür zuständige Minister von Kenia in der Sendung „macro“ des deutschen Fernsehsenders 3sat, „ist für uns ein bedeutender Wirtschaftszweig, noch vor der Tourismus-Industrie und dem Handel mit Bodenschätzen.“

In derselben Sendung erfuhr man, daß es in Kenia schon seit längerem eine satirische Fernsehserie gibt, die sich speziell mit der Hilfeleistungsindustrie beschäftigt und die dort regelmäßig zutage tretenden Korruptionsaffären, vor allem die Geld-Mauscheleien zwischen ausländischen Spenderorganisationen und einheimischen Empfängerorganisationen, in grellster Weise abbildet und sich über sie lustig macht. Kurze Ausschnitte daraus wurden gezeigt. Der deutsche Zuschauer erschauerte. So also sahen die Resultate seiner vorweihnachtlichen Spenderbereitschaft aus!

Auch der Redakteur von „macro“ erschien noch auf dem Bildschirm und bat sein Publikum fast flehentlich, sich von den gezeigten kritikhaltigen Szenen nicht abschrecken zu lassen und bitte, bitte weiter zu spenden. Nicht alles in der grenzübergreifenden Wohltätigkeitsindustrie laufe schief, davon sei er fest überzeugt. Trotzdem würde Pankraz jedem Spender raten, beim Verteilen mildtätiger Gaben einen gewissermaßen subsidiären Standpunkt einzunehmen, also bevorzugt dort zu geben, wo er selber den Lauf des Geldes voll überblicken und den Endempfänger vielleicht sogar selbst bestimmen kann.

Schließlich gibt es so etwas wie Spenderglück, eine erlaubte Genugtuung darüber, daß man eine gute Tat getan hat, ohne seinerseits etwas dafür zu erhalten, höchstens einen Hauch echter Dankbarkeit. Der konkrete, wirklich erlebte zufriedene Blick eines einzelnen, endlich gefütterten Kindes verschafft einem auf jeden Fall mehr Spenderglück als die knappe Routine-bestätigung etwa von SOS-Kinderdörfer/Hermann-Gmeiner-Fonds (München), daß die Spende termingemäß angekommen sei und man sich dafür bedanke. Meistens gibt es nicht einmal eine solche Bestätigung.

Das Prinzip Subsidiarität beim Spenden hat übrigens auch für die Empfängerseite sein Gutes. Es bewirkt noch am ehesten Hilfe zur Selbsthilfe, und auf diese kommt es letztlich an.

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