© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Knapp daneben
Friedensmacht Europa
Karl Heinzen

Der US-Bürger André Shepherd diente seinem Land als Soldat treu. Blut brauchte er nicht zu vergießen. Als Techniker war es seine Aufgabe, friedlich den Kampfhubschrauber Apache zu warten. Irgendwann muß es ihm aber gedämmert haben, daß er auch durch diese Tätigkeit Schuld auf sich lädt. Mit dem Apache kann man nämlich nicht nur Demokratie und Menschenrechte schützen. Man kann mit ihm auch Kriegsverbrechen begehen.

Den USA ist zwar nicht vorzuwerfen, daß Greueltaten ihre Kriegführung prägen. Da sie aber keinem Konflikt aus dem Weg gehen, ist die Wahrscheinlichkeit, daß immer wieder mal passiert, was eigentlich nicht passieren sollte, hoch. Shephard wollte mit dieser Eventualität nicht leben und desertierte. Da er in Deutschland stationiert war, hoffte er auf Zuflucht gleich vor dem Kasernentor.

Der Kreml muß damit rechnen, daß die Soldaten nicht kämpfen, sondern in der EU einen Asylantrag stellen.

Die deutschen Behörden taten sich schwer mit seinem Asylantrag. Shephard ist kein Wirtschaftsflüchtling und hatte ein Auskommen. Das Argument, daß ihm daheim eine Haftstrafe für seine Gewissensentscheidung drohe, zählte nicht. Sein Antrag wurde abgelehnt, und Shephard beschritt den Rechtsweg, der ihn vor den Europäischen Gerichtshof führte. Dort läßt ihn das Gutachten der Generalanwältin hoffen. In ihm wird ausgeführt, daß Deserteure Anspruch auf Flüchtlingsschutz in der EU haben, wenn sie durch ihren Dienst in Kriegsverbrechen verwickelt werden könnten. Dies sei auch dann vorstellbar, wenn es sich nicht um eine „klassische Unrechtsarmee“ handele.

Europa wird damit seinem Anspruch einer Friedensmacht gerecht. Es zahlt sich nicht aus, mit Truppen ferne Länder zu befrieden, und es wäre nun ja auch zu befürchten, daß die Männer und Frauen, die als Soldaten aufbrechen, als Asylanten zurückkehren. Viel effektiver ist es, die militärische Disziplin weltweit zu unterminieren, indem Deserteuren Zuflucht angeboten wird. Auch gegen eine russische Bedrohung ist dies die wirksamste Abschreckung. Käme der Kreml auf die Idee, im Westen einzumarschieren, müßte er damit rechnen, daß die Soldaten nicht kämpfen, sondern einen Asylantrag stellen.

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