© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Die dunklen Seiten ins helle Bühnenlicht gebracht
Agent provocateur der Belle Epoque: Zum 150. Geburtstag Frank Wedekinds zeigt das Deutsche Theatermuseum in München Arbeiten des Dramaturgen und Gesellschaftskritikers
Felix Dirsch

Wer das in unmittelbarer Nähe zum Odeonsplatz gelegene Theatermuseum in München kennt, weiß, daß es von den Räumlichkeiten her klein, aber fein ist. Dementsprechend werden die Ausstellungen konzipiert. Das gilt auch für die aktuelle über Frank Wedekind. Auf drei beengten Etagen läßt sich nur eine überschaubare Menge an Schaukästen mit Dokumenten, an Dekor, an Wandbildschirmen und anderen Präsentationsmitteln unterbringen. Da ist es fast notwendig, auch an den Wänden der Treppen Texte anzubringen.

Im Fall der Ausstellung zu dem Dramatiker und Gesellschaftskritiker Frank Wedekind (1864–1918) sind es Reklameverse, die Wedekind für den Unternehmer Julius Maggi entworfen hat, der seine frisch entwickelten Fertigsuppen unters Volk bringen wollte und dieses Ziel zweifellos auch erreicht hat. Betritt man das Museum in der Galeriestraße, so fällt hinter dem Eingang die an einen Zirkus erinnernde Dekoration auf. Das ist kein Zufall, war doch der Zirkus einer der Orte, an denen sich Wedekind am liebsten aufgehalten hatte.

Zu den ebenso illustren wie heftig umstrittenen Künstlerpersönlichkeiten der bayerischen Landeshauptstadt und weit darüber hinaus gehörte über einen längeren Zeitraum der Dramatiker, Lyriker, Satiriker, Schauspieler und Sänger Frank Wedekind. Schon als Student hat er sein Herz für die aufstrebende Metropole entdeckt. Wegen seiner Aufsässigkeit und seiner stets auf Skandale bedachten Rolle war er das Enfant terrible um 1900. Sein viel rezipiertes Werk, das bis heute freilich insgesamt einen Bedeutungsverlust hinnehmen mußte, ist mit der Stadt München aufs engste verbunden, war hier doch seine zentrale Wirkstätte. Wegen seiner mitunter ungestümen Auftritte als „Sexualapostel“ (Elke Austermühl) blieb ihm sogar eine monatelange Festungshaft nicht erspart. Sie hat ihm wegen des Ansehensgewinns in manchen Kreisen eher genutzt als geschadet.

Er hatte sich den Ruf eines Bürgerschrecks erworben

Wedekinds Ansinnen bestand vor allem darin, die naturhaften Kräfte des Sexus in einer noch weitgehend von Tabus dominierten Gesellschaft in Form des naturalistischen Realismus darzustellen. Ihn interessierten nicht zuletzt die Einflußfaktoren auf menschliches Handeln, die sich unterhalb der Schwelle des wissenschaftlich Erforschbaren abspielen. Die Absicht des Autors zielte darauf ab, den „Mantel der geistigen Verklärung zu lüften“ (Austermühl), mit dem ein überall vorhandener metaphysischer und religiöser Überbau die eigentlichen Antriebe des Menschen zu verschleiern versuchte.

So sahen es jedenfalls zahlreiche Literaten der Zeit, die mit Wissenschaftlern wie Sigmund Freud und Eduard von Hartmann in diesem Punkte übereinstimmten. Diese waren wiederum zu einem nicht geringen Teil von Arthur Schopenhauer beeinflußt. Den vielleicht wesentlichsten Vorläufer Freuds, den Psychiater Richard von Krafft-Ebing, dessen Untersuchung „Psychopathia sexualis“ zum Ärger zeitgenössischer Biedermänner die kindliche Sexualität offenlegte, machte Wedekind sogar zum Gegenstand eines Gedichts, das später den Titel „Perversität“ bekommen hat.

Die dunklen Seiten gesellschaftlich tragender Institutionen wie Ehe und Familie, von Kindsmißbrauch über Homosexualität und Inzest bis zur verbreiteten Prostitution werden schonungslos im hellsten Bühnenlicht zur Sprache gebracht. Wedekind, der selbst aus zerrütteten Familienverhältnissen stammte, hinterfragte die damals noch weithin als sakrosankt betrachteten Einrichtungen tiefenscharf. Seine eigene, ebenfalls konfliktreiche Ehe mit der Schauspielerin Tilly Wedekind landete wohl nur deshalb nicht vor dem Scheidungsrichter, weil er mit 54 Jahren verhältnismäßig jung verstorben ist.

Bereits als Kabarettist und Mitglied der „Elf Scharfrichter“ hatte sich Wedekind den zweifelhaften Ruf eines Bürgerschrecks erworben. Erst recht galt (und gilt) dies für den Autor des Bühnenstücks „Die Büchse der Pandora“, dessen Hauptfigur Lulu als Kindfrau des Lüstlings Dr. Goll wirkt. Wedekind arbeitete es mehrfach um, so daß es unter dem Namen „Der Erdgeist“ in veränderter Fassung aufgeführt wurde. Unabhängig von der jeweiligen Version konnte die Zensur die Erregung von „Abscheu und Ekel“ konstatieren. Auch andere bekannte Werke wie „Frühlings Erwachen“ offenbarten den fragilen Charakter menschlichen Zusammenlebens.

Im oberen Stockwerk des Theatermuseums sind wichtige Stationen der Rezeptionsgeschichte Wedekinds dargestellt. Zu nennen ist an erster Stelle Alban Bergs Oper „Lulu“, die wegen dessen Todes unvollendet geblieben ist, dennoch aber in Zürich 1937 als Zweiakter ihre Uraufführung erlebte. Die Komposition beeindruckte sogar Wilhelm Furtwängler. Ausschnitte über die bis heute nicht abreißenden Neuverfilmungen, vor allem von „Lulu“, geben einen Einblick in die Aktualität Wedekinds. Zahllose bedeutende Denker haben direkt oder indirekt das Erbe des Sittenkritikers angetreten. Michel Foucault analysierte die vielfältigen Mechanismen des sozialen Zugriffs auf die Körperlichkeit und die gängigen, mehr oder weniger subtilen Unterdrückungsmethoden der Sexualität in der abendländischen Geschichte.

Die Ausstellung „Wedekinds Welt“ ist bis zum 11. Januar 2015 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestr. 4a, täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 4 Euro. Telefon: 089 / 21 06 91-0

www.deutschestheatermuseum.de

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