© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Kein Monopolist bietet niedrige
Preise und Riesen-Auswahl Amazon: Dem Versandhändler ist mit einem Kartellverfahren nicht beizukommen
Elliot Neaman

Der Nobelpreisträger Paul Krugman ist der Überzeugung, Amazon sei ein Monopol. Für die US-Linke haben Krugmans Äußerungen nicht weniger Gewicht als die Worte des Papstes für gläubige Katholiken. In der Blogosphäre wie auf den Seiten führender Medien ist seitdem Amazon-Beschimpfung angesagt. Kritiker werfen dem Internet-Giganten vor, durch einen extremen Preisdruck eine weltweite Dominanz anzustreben.

Eine Schlüsselfrage in dieser Debatte ist die Bedeutung des Worts „Monopol“. Selbst Krugman gibt zu, daß Monopole im klassischen Sinne umgekehrt funktionieren – sie schalten erst die Konkurrenz aus, um dann die Preise in die Höhe zu treiben. Amazon hingegen verkauft zum oder unter dem Selbstkostenpreis, um den Marktanteil zu steigern. Die Profite des Unternehmens sind auch im zwanzigsten Jahr seines Bestehens alles andere als beeindruckend.

Nach US-Recht wird Monopolbildung als Anwendung von Taktiken zur Reduzierung der Konkurrenz auf dem Markt definiert. Es muß eine Verschwörung vorliegen, zumindest ein Kartell. Doch das ist Amazon nicht. In Anbetracht dieser Bestimmungen ist das Argument, Amazon sei ein Monopol, kaum stichhaltig.

Im vergangenen Jahr machte der Gesamtumsatz von Amazon (Motto: „Niedrige Preise, Riesen-Auswahl“) nur etwa fünfzehn Prozent aller Umsätze im Onlinehandel aus. Die Walmart-Kette verzeichnet in der Onlinesparte ein ähnlich hohes Wachstum. Amazon hat viele Konkurrenten, die nach wie vor Ladengeschäfte betreiben, und muß sich im Internet gegen Mitbewerber wie Apple und Google behaupten. Im E-Buch-Markt dominiert Amazon zwar mit einem Marktanteil von etwa 67 Prozent, doch selbst hier haben Verbraucher viele andere Optionen.

Daß es sich ausgerechnet um das sakrosankte Kulturgut Bücher handelt, ist womöglich der eigentliche Grund für die Aufregung in intellektuellen Kreisen über die Geschäftspraktiken des Internethändlers und die Art und Weise, wie Amazon den Büchermarkt verändert und damit massiv zum Aussterben unabhängiger Buchhandlungen im Zeitalter des „Klick und kauf“ beigetragen hat.

Als Walmart den kleineren Baumärkten, die mit den Schleuderpreisen der Megakette nicht mithalten konnten, mit ganz ähnlichen Methoden zusetzte, war die Empörung längst nicht so groß. Die Fokussierung auf Amazon verschleiert zudem die Tatsache, daß das Aussterben der kleinen Buchhandlungen dem Internet als solchem zu verdanken ist und nicht etwa irgendwelchen üblen Machenschaften des bibliophilen Amazon-Gründers Jeff Bezos.

Die Europäer haben eine Handhabe gegen Amazon

Wenn die Gesetze zur Verhinderung von Monopolbildung primär dem Schutz der Verbraucher dienen sollen, ist schwer einzusehen, inwiefern niedrige Preise und zukunftsweisende Kundendienstleistungen den Verbrauchern schaden. Wird hingegen – wie es im EU-Recht zur Verhinderung von Kartellbildung in der Regel der Fall ist – der Schutz kleinerer Unternehmen bezweckt, dann lassen sich in Europa schon eher starke Argumente gegen Amazon vorbringen.

Gemäß Artikel 102, Absatz a) des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union von 2009 ist in „der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen“ eine „mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben“ zu sehen. Eine Definition, was genau unter „unangemessen“ zu verstehen ist, wird dabei allerdings unterschlagen.

Arbeitsbedingungen und Marktmacht sind zweierlei

Der deutsche Gesetzgeber und die Gerichte bedienten sich schon vor Inkrafttreten dieser EU-Regelungen ähnlich schwammiger Argumente und Definitionen, um kleinere Geschäfte vor der Kostensenkungspolitik der großen Ketten und Konzerne zu schützen, wie sich etwa 2003 im Rechtsstreit zwischen Walmart und der Gewerkschaft Verdi zeigte. Walmart gab 2006 den Rückzug aus dem deutschen Markt bekannt, nicht zuletzt wegen der strengeren arbeitsrechtlichen Vorschriften.

Wenn sich Amazon nach US-Recht überhaupt eines Vergehens schuldig gemacht hat, dann höchstens der brutalen Arbeitsbedingungen, die nach Berichten seiner nicht gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in den Lager- und Versandanlagen herrschen. Der hocheffiziente Kundendienst hat eben seinen Preis. Die Frage, ob Amazon eine Monopolstellung einnimmt oder nicht, bleibt davon jedoch unberührt.

Das eigentliche Problem mit Gesetzen zur Verhinderung von Kartellbildung liegt darin, daß sie zugleich auch Innovation verhindern und ineffiziente Hersteller schützen. In einem wirklich freien Markt wird ein dominantes Kartell, das die Preise in die Höhe treibt, sehr bald von effizienter wirtschaftenden Mitbewerbern unterboten, die gleich- oder höherwertige Produkte zu niedrigeren Preisen anbieten können. Tendenziell schützen Anti-Kartell-Gesetze etablierte Anbieter vor neuartigen Geschäftspraktiken, die Unruhe auf dem Markt erzeugen. Manche würden gerne in Vierteln mit traditionellen Tante-Emma-Läden, Mikrobrauereien, Bio-Bäckereien und urigen Buchhandlungen leben, die von bärtigen Professoren im Ruhestand betrieben werden. Wenn es darum gehen soll, bestimmte Lebensweisen vor den rapiden Veränderungen des kapitalistischen Marktes zu beschützen – was eher im Interesse der betuchteren Schichten als dem der weniger Privilegierten ist –, sollten sich jene Entschleuniger wenigstens ehrlich zu dieser Post-Romantik bekennen und sie nicht mit rechtlichen Scheinargumenten zu übertünchen versuchen.

Den Unternehmen der neuen „Sharing-Economy“ – dem Online-Vermittlungsdienst Uber, der den traditionellen Taxifirmen Konkurrenz macht, oder Airbnb, der derzeit das Hotelgeschäft aufrüttelt – werden ebenfalls unfaire Geschäftspraktiken vorgeworfen. Die Pferdekutschenhersteller des frühen 20. Jahrhunderts, die versuchten, die Verbreitung des Automobils aufzuhalten, mußten bald Bankrott anmelden, während andere überlebten, indem sie sich auf den Verkauf von Ersatzteilen für die Automobilindustrie spezialisierten.

Die Moral von der Geschicht’ ist, daß das Internet – mit seinen guten und schlechten Seiten – nicht wieder verschwinden wird. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, sollte lernen, sich damit abzufinden.

Fotos: Lieferwagen der Post-Tochterfirma DHL: So revolutioniert Amazon den Handel und die Logistikbranche

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