© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Szenen eines Bürgerkrieges
Innere Sicherheit: Eine Auflistung der Bundesregierung zeigt die Dimensionen der Gewalt zwischen Kurden und Islamisten in Deutschland
Lion Edler

Bremen, 9. August 2014: In einem türkischen Imbiß kommt es zu „körperlichen Auseinandersetzungen“ zwischen kurdischen Jesiden und Salafisten. Dabei trägt ein Salafist einen Armbruch davon. Am nächsten Morgen eskaliert die Gewalt: Fünf Jesiden greifen einen mutmaßlichen Islamisten mit einer Axt, einer Machete und einem Schlagstock an. Der Mann wird schwer verletzt. Am selben Tag wird in Hannover ein Salafist von „unbekannten Tätern“ mit einem Messer bedroht und mit Tritten angegriffen. Wiederum am selben Tag kommt es in Berlin zu Flaschenwürfen, Tritten und Schlägen gegen eine Gruppe von Kritikern des „Islamischen Staats“ (IS). Drei Vorfälle, die sich innerhalb von nur 24 Stunden abspielten. Sie sind beileibe keine Einzelfälle.

Nachdem es im Oktober in Hamburg und Celle zu Gewaltexzessen zwischen Salafisten und Kurden gekommen war, die deutschlandweit für Schlagzeilen sorgten (JF 43/14), wollte die Linksfraktion mit einer kleinen Anfrage Genaueres über die Hintergründe und Gefahrenpotentiale wissen. Die konzentrierte Auflistung, die die Bundesregierung als Ergebnis nun präsentiert, liest sich wie der schockierende Bericht aus einem Bürgerkrieg.

Angesichts der schlagzeilenträchtigen Ereignisse versucht sich die Linkspartei in Exegese. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sehe die Schuld für die Gewalt zwischen Kurden und Salafisten wohl nur bei ersteren, mutmaßt die Linksfraktion in der Anfrage. Schließlich habe der Minister doch gesagt, daß er verstehe, wenn manche „aufgewühlt sind von den Bildern aus Syrien und Irak“ – was jedoch nicht bedeute, daß er es verstehe, „wenn solche Aktionen gewalttätig enden“.

Doch die Bundesregierung kann den Vorwurf entkräften. „Die Aussage bezieht sich auf beide Gruppen“, teilt sie der Linksfraktion in ihrer jetzt veröffentlichten Antwort mit. Schließlich sei die Gewalt bei kurdischen Demonstrationen „sowohl von kurdischen Gegnern des sogenannten IS als auch von Salafisten beziehungsweise anderen Demonstrationsgegnern“ ausgegangen.

Die Antwort der Bundesregierung macht dabei letztlich deutlich, daß die Ursachen der Gewalt vor allem in internationalen Konflikten liegen, die durch die Einwanderungspolitik nach Deutschland importiert werden: Die Auseinandersetzungen zwischen IS-Anhängern und jesidischen Kurden hätten ihre „Höhepunkte“ nach dem Angriff des IS auf die Jesiden im Nordirak und auf die syrische Stadt Kobane erreicht, heißt es in der Stellungnahme. Und das könnte erst der Anfang sein. Denn eine Lageeinschätzung des Bundeskriminalamtes warnt bereits vor der „nächsten Eskalationsstufe“, falls es zur vollständigen Einnahme der immer noch umkämpften Kobanes durch die Milizen des „Islamischen Staats“ kommen sollte. „Die Einschätzung basiert auf der Beobachtung und Bewertung der Entwicklung der Vorfälle um die Stadt Kobane und deren Auswirkungen beziehungsweise der Reaktionen darauf in Deutschland“, schreibt die Bundesregierung dazu. Derweil sieht die Regierung nicht nur in kurdischen und jesidischen, sondern teilweise auch in schiitischen Kreisen die Bereitschaft, „mit Gewalt gegen erkannte Salafisten vorzugehen“. Bei den Salafisten wiederum wurden in den sozialen Netzwerken vereinzelte Gewaltaufrufe gegen Kurden und Jesiden festgestellt; außerdem sei seitens der Salafisten eine „zunehmende Ablehnung“ von Schiiten und Aleviten festzustellen. Eine explosive Gemengelage also.

80 Berliner Salafisten nach Syrien ausgereist

Unterdessen wurde bekannt, daß sich etwa 80 Berliner Salafisten in das Gebiet des syrischen Bürgerkriegs begeben haben. Die deutschen Behörden versuchen die Ausreise zu verhindern – doch oftmals erfolglos. Nach einer Anfrage des Berliner SPD-Abgeordneten Tom Schreiber, erklärte Innen-Staatssekretär Bernd Krömer (CDU), daß die betreffenden Personen „mit islamistischer Motivation in Richtung Syrien/Irak gereist“ seien, „um an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Dschihad in sonstiger Weise (logistisch, finanziell, propagandistisch) zu unterstützen“, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Krömer geht davon aus, „daß ein quantitativ nur schwer zu bestimmendes Dunkelfeld von Personen vorhanden ist, die ebenfalls ausgereist sind, aber noch nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten sind“.

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