© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Michael Müller. Mit dem neuen Regierungschef von Berlin kehrt Nüchternheit ein
Solide Langeweile
Ronald Berthold

Witze über Namen verbieten sich. Es sei denn, der Betroffene macht sie selbst. „Ich heiße nicht nur Schmidt, ich sehe auch so aus“, stellte sich Entertainer Harald Schmidt einst seinem Publikum vor. Über Michael Müller böte sich ein ähnlicher Kalauer an, wenn er sich den Berlinern als deren neuer Regierender Bürgermeister präsentiert. Aber dem spröden Sozialdemokraten geht diese Art von Selbstironie völlig ab.

An der Spitze der hippen Hauptstadt steht ab 11. Dezember ein ziemlicher Langweiler. Aber genau aus diesen Gründen zog ihn die SPD-Basis wohl dem offen homosexuellen Landesvorsitzenden Jan Stöß und dem mit leichtem arabischen Akzent sprechenden Fraktionschef Raed Saleh in einer Urwahl vor. Nach dem lässigen Klaus Wowereit bekommt Berlin also einen echten Apparatschik, der mit der Tugend der Entscheidungsfreude auf Kriegsfuß steht. Als solider zweiter Mann hielt er stets loyal zu „Wowi“. Viel mehr können selbst Wohlwollende nicht über sein politisches Profil sagen.

Im Vergleich zu seinen Rivalen stellt er aber in jeder Hinsicht das geringere Übel dar. Kokettierten Stöß und Saleh offen mit einem rot-rot-grünen Bündnis, erteilte Müller diesen Gedankenspielen noch vor seiner Wahl eine klare Abfuhr. Für ihn steht die Koalition mit den leicht zu handhabenden Christdemokraten nicht zur Disposition.

Vor 13 Jahren übernahm der verheiratete Vater zweier Kinder den SPD-Landesvorsitz, 2004 dann auch die Leitung der Fraktion. Daß nach einer aktuellen Umfrage 45 Prozent der Hauptstädter ihr neues Oberhaupt dennoch nicht kennen oder keine Meinung zu ihm haben, sagt eine Menge über den Politiker aus, der zwei Tage vor seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister fünfzig Jahre alt wird. Akzente hat der Mann in den vergangenen drei Jahren auch als Stadtentwicklungssenator nicht gesetzt. Dabei hätten sich in der sich ständig neu erfindenden Metropole dafür zahlreiche Möglichkeiten geboten.

Michael Müller schaffte erst mit knapp achtzehn die Mittlere Reife, gemeinsam mit seinem Vater hat er eine Druckerei. Karriere machte Müller als Parteisoldat. Noch vor dem Schulabschluß trat er in die SPD ein, kam über die Bezirksverordnetenversammlung in Tempelhof, wo er auch geboren wurde, ins Abgeordnetenhaus und nun schließlich an die Spitze des Senats. Dem bodenständigen Typen nehmen die meisten Beobachter ab, daß er den finanzpolitischen Konsolidierungsprozeß der hochverschuldeten Bundeshauptstadt fortsetzen möchte. Für verrückte sozialpolitische Projekte, mit denen sich andere Genossen gerne ganz modern geben, scheint er kein Faible zu haben.

Seinen Aufstieg verdankt der neue Regierende Bürgermeister allein dem miserablen Personaltableau in seiner Partei und der Berliner Landespolitik. Mit Müller wird der Einäugige unter den Blinden König.

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