© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Stätten der Erinnerung
Einpfl anzung geschichtlichen Sinns
Lars Schröder

Die deutsche Geschichte vor 1933 ist der herrschenden Kaste zunehmend egal. Das hat sich beim Beschweigen des Gedenkjahres 1813, bei der Entschuldigungstour der Staatsspitzen anläßlich „1914“ erneut gezeigt. Auch Otto von Bismarcks 200. Geburtstag am 1. April 2015 wird dies bestätigen. Denn vor allem das 19. und das 20. Jahrhundert bis 1945, das Zeitalter der Nationalstaaten, bietet Politikern und Meinungsmachern kaum geschichtsideologisch verwertbare Ressourcen. Ja, es birgt beträchtliches Störpotential, da Geschichtsbewußtsein vor politischer Entmündigung und letztlich vor Entmenschlichung schützt, denn der geschichtslose Mensch ist, so läßt sich bei Martin Heidegger nachlesen, kein Mensch im eigentlichen Sinne.

Diese traurige „Lage der Nation“, 25 Jahre nach dem Mauerfall, spiegelt sich in ihrer Denkmalspolitik wider. Die Herausgeber Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann heben in ihrem klugen Vorwort zum vierten, den „Deutschen Orten“ gewidmeten Band des „Staatspolitischen Handbuches“ deshalb hervor, daß die dafür Verantwortlichen „Schandmale“ im öffentlichen Raum bevorzugen, während sie Erinnerungsstätten, die Momente historischer „Größe und Geschlossenheit“ vergegenwärtigen, dem Verfall preisgeben. Wenn „Bevölkerung“ Volk ersetzt, bedarf es keiner von Denkmälern ausgehenden „Einpflanzung des geschichtlichen Sinnes in die Seelen“ mehr.

Wer trotzdem nicht im Nihilismus versinken will, muß der voranschreitenden „Entortung“ Widerstand leisten, um so „politischer Wiederverwurzelung“ vorzuarbeiten. Diesem Zweck dient ihr Band, der einlädt, von Aachen und Annaberg, über Hechingen und Helgoland, Naumburg und Neuschwanstein, Wartburg und Weimar den deutschen Geschichtsraum zu erkunden. Und ihn zu überschreiten, denn unter den hundert Artikeln finden sich ferne, sogar exotische Plätze, wie der Dom von Palermo und Castel del Monte, oder der „deutsche Schicksalsberg“ Nanga Parbat. Solche kühnen Ausflüge gehen leider etwas zu Lasten des preußischen Ostens, der zwar mit Danzig, Königsberg, Kolberg, Leuthen, Marienburg, Tannenberg und Tauroggen vertreten ist, aber viel fehlt: auch das hinterpommersche Varzin, Bismarcks ländlicher Amtssitz.

Erik Lehnert, Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Deutsche Orte. Staatspolitisches Handbuch Bd. 4. Verlag Antaios, Schnellroda 2014, gebunden, 222 Seiten, 15 Euro

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