© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

DVD: Kinder des Olymp
Hinter der Maskerade
Werner Olles

Paris, Mitte des 19. Jahrhunderts. Auf dem Boulevard des Verbrechens wimmelt es von Menschen. Frédérick Lemaître (Pierre Brasseur), leichtsinnig, gewissenlos, doch unwiderstehlich charmant, will sich einer jungen Schönheit nähern. Aber Garance (Arletty) weicht ihm aus. Vor einer Schaubude lockt der Marktschreier mit der „nackten Wahrheit“. Drinnen findet Frédérick das Mädchen wieder. Es sitzt nackt in einer Wanne, begafft von den Zuschauern, die „die ganze Wahrheit“ zu sehen verlangen. Aber niemand erkennt die Wahrheit, alle sehen nur das Gesicht, den Leib.

Einzig der erfolglose Komödiant Baptiste (Jean-Louis Barrault) hat Augen für ihre Seele. Auf dem Heimweg nach der Vorstellung gerät Garance in eine Diebstahlsaffäre. Baptiste, der alles beobachtet hat, tritt als Zeuge auf – in einer Pantomime. Garance drückt zum Dank eine Rose an ihre Lippen und wirft sie ihrem Retter auf die Bühne. Damit beginnt ein tolles Maskenspiel auf dem Boulevard des Verbrechens. Baptistes weißes Pierrot-Gesicht verschwindet in einem Regen von Konfetti. Das Gewimmel zieht vorüber an einem Alltag, an dem die Trauer sich rot kleidet und die Freude schwarz …

Romantische Ironie, Verkleidung und melancholische Skepsis sind charakteristisch für Marcel Carnés „Kinder des Olymp“ (Les Enfants du paradis, 1943/45). „Kinder des Paradieses“ – das ist die Volksmasse, das Theaterpublikum auf dem „Olymp“, aber auch die Schauspieler sind es, die Komödianten und Narren. Dazwischen bildet die Rampe sozusagen einen Bindestrich seltsamer Gemeinschaft. Denn was sind die Zuschauer anderes als Mitspieler in einer Maskerade, selbst unglückliche Pierrots, aufopfernde Schurken und heilige Kurtisanen? Unter der Maske der Commedia dell’arte schimmert die Philosophie des Gauklers: Der Weltschmerz mag ein Lächeln wert sein. Hervorragend ist Jean-Louis Barrault als Baptiste. Seine Pantomimen sind ausgesuchte Kunst eines wirklichen Schau-Spielers. Unvergeßlich bleibt sein schmerzverzerrtes Antlitz, das Gesicht eines Komödianten, verwirrend ähnlich dem des Tragöden.

Dieses kunstvolle Meisterwerk der Filmgeschichte verdichtet sich zu einem gleichnishaften Gesamtbild vom Leben als Theater und vom Theater als Lebensbühne.

DVD: Kinder des Olymp. Concorde Video, 2014, Laufzeit etwa 190 Minuten

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