© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Aus einer fernen Wunderwelt
Musikalische Friedensbotschaft: „Lohengrin“ am Theater Magdeburg
Sebastian Hennig

Gott, wenn ich an den Trödel denke!“ ächzte Richard Wagner 1844 in einem Brief über die zurückliegende Zeit als Musikdirektor in Magdeburg, wo er seine ersten prägenden Eindrücke vom Theaterbetrieb erhielt. Dort kam 1836 unter widrigen Umständen seine Oper „Das Liebesverbot“ zur Uraufführung, und er verlobte sich mit der Schauspielerin Minna Planer.

Mit nahezu der gesamten Altstadt Magdeburgs wurde am 16. Januar 1945 durch britische Bomber auch das alte Stadttheater von 1876 zerstört. Seit 1951 hat die Oper ihre Spielstätte nun in einem früheren Varieté- und Operettentheater. In der ersten Szene des neuen Magdeburger „Lohengrin“ von Regisseur Andreas Baesler legt der Heerrufer Folien auf den Overheadprojektor. Die Luftaufnahmen zeigen Umrisse einer ausgelieferten Stadt und die Startbahnen eines Militärflugplatzes.

Darüber hinaus verzichtet die Inszenierung auf zeitgeschichtliche Äußerlichkeiten und entrückt das Geschehen ins unbestimmt Sagenhafte. Die Brabanter sind in stilisierte Lederkoller geschnürt. Vor Lohengrins Ankunft tragen sie rote oder grüne Armbinden, danach sind sie im Zeichen des wiederhergestellten Friedens weiß gekennzeichnet.

Wie ein Pilot verläßt Lohengrin eine riesige Kugel. Bevor er den festen Boden betritt, durchtrennt er eine Art Nabelschnur und legt die Schutzbrille ab. Die Kugel hebt und senkt sich später an verschiedenen Stellen wieder drohend über der Szene, wie ein Auge Gottes oder ein riesiges Kameraobjektiv, welches das Treiben der Menschen aufzeichnet und die Signale an die Gralsburg zurücksendet.

Das Hauptgeschehen liegt in der Musik

Das gleichbleibende Bühnenbild zeigt einen Rundbau mit Deckenöffnung. Der archaisierende Raum hat Anklänge an Völkerschlachtdenkmal, Theoderichgrab oder Bismarckturm. Der beste Einfall daran ist eine weit oben umlaufende Galerie. Hier können ein Teil des Chors und die Trompeter Aufstellung nehmen.

Auf dem Boden befindet sich im kleineren Halbrund eine fahrbare Trennwand. In deren Inneren sind wechselnde Worte aus dem Textbuch zu lesen, wie „Für deutsches Land das deutsche Schwert.“ Die Drehung des Innenkreises verwandelt die Ansichten der zahlreichen Personen, die ständig auf der Bühne singend anwesend sein müssen.

Dieser Einfall hätte schon gereicht, um die gewöhnliche Erstarrung der Lohengrin-Aufstellungen etwas zu lösen. Doch der Regisseur hat sich leider zum Ziel gesetzt, auch bei der Personenführung etwas zu bieten. Als der Überwinder Lohengrin (Corby Welch) über Telramund (Roland Fenes) steht, hat er beide Hände fest um das Schwert geschlossen, als wollte er den Wehrlosen wie ein Vieh abstechen. Dann wirft er unvermittelt die Waffe weg. Wie bei einer schweren Migräneattacke greift er sich an die Stirn und taumelt seitwärts davon. Auch das Geknutsche und die Fummelei zwischen dem Schwanenritter und der brabantischen Prinzessin (Elizabeth Llewellyn) sowie deren Tanzpantomime mit Bruder Gottfried (Buschra Elmalih) schießen über das Ziel hinaus.

Soviel Auflockerung hätte es nicht bedurft, da das Hauptgeschehen in der Musik liegt. Völlig unnötig, in deren große Beziehungswelt kleine gestische Beziehungskisten hineinzuzimmern. Es ist genug Drama wirksam zwischen gleißenden Streichern und schmetternden Bläsern, dem achtstimmigen gemischten Chor, der Traumverlorenheit und dem irdischen Waffengeklirr, den weitverteilt zwischen Rang, Saaltüren, Hinterbühne und Orchestergraben aufgestellten Trompeten.

Dirigent Titus Engel mit der Magdeburger Philharmonie und Chorleiter Martin Wagner mit Opernchor und Singakademie entfesseln den ganzen Glanz und Prunk dieser Musik ohne jede Gewaltsamkeit. So mühelos wie selbstverständlich singt Elizabeth Llewellyn als Elsa ihre erste Wagner-Rolle. Corby Welch als Lohengrin ist kraftvoll und wohltönend, kennt den Umfang seiner Stimme und läßt sich nie zu Krawall verleiten. Seine Lautstärke steht immer im Verhältnis zum Wohlklang. Nicht so stimmmächtig, aber doch sicher und markant sind die Ensemble-Mitglieder Johannes Stermann (König), Peter Bording (Heerrufer) und Roland Fenes.

Lohengrin kommt aus einer fernen Wunderwelt. So bleibt er immer irgendwie für sich mit seinem Geheimnis und taugt kaum jemandem zum Antipoden. Auch zu Elsa ergibt sich eigentlich kein menschliches Verhältnis. Dagegen offenbaren sich Elsa und Ortrud als irdische Gegenspieler. Undine Dreißig verstört durch Präsenz und Gesang mit ihrem heidnischen Furor glaubhaft Elsas schlichte Treue. Beide Frauen sehen so fabelhaft aus in den Kostümen von Tanja Hofmann wie sie großartig singen. Der graphitgraue Einheitsraum wird als Brautgemach in einen rötlichen Schein getaucht. Wie ein böser Geist schleicht Ortrud oben über die Empore. Zuletzt muß sie sich selbst mit dem Morddolch töten, während eine verstörte Elsa in den Armen des Königs ihre Zuflucht sucht.

Von diesem Abend geht eine Hoffnung aus, die über die gelungene Aufführung hinausweist. Wie der Schwan für alle überraschend auf der Schelde herangleitet, so erhebt sich wie ein Vogel Phönix Richard Wagners musikalische Friedensbotschaft über den Völkern der alten und der neuen Welt.

Der „Lohengrin“ wird am Theater Magdeburg in der laufenden Spielzeit nicht mehr gegeben.

Foto: Corby Welch (Lohengrin), Elizabeth Llewellyn (Elsa): Siebzig Jahre nach der Auslöschung Magdeburgs durch anglo-amerikanische Bomben bringen unter der Intendanz der Britin Karen Stone eine englisch-jamaikanische Sopranistin und ein amerikanischer Tenor die zarte und heroische Ausdruckswelt Wagners zu gültiger Entfaltung

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen