© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Pankraz,
K. Störtebeker und der Herr aus Danzig

Auf Welt online liest Pankraz einen Artikel, dessen Pointe darin besteht, daß Klaus Störtebeker, der sagenhafte Seeräuber des späten Mittelalters, in Wirklichkeit ein Herr aus der besten Gesellschaft gewesen sei, ein reicher Kaufmann und Kapitän in Danzig, der so erfolgreich war, daß er den Neid der übrigen Handelsstädte rund um die Ostsee, speziell Hamburgs, auf sich gezogen hätte und schließlich von ihnen zum Tode verurteilt und um einen Kopf kürzer gemacht worden sei. Ist das nun ernsthafter Wissenschaftsjournalismus oder bloße Sensationshascherei?

Von Neuigkeit der Mitteilung kann ja keine Rede sein. Die sogenannte Störtebeker-Forschung hat schon längst einen Danziger Kaufmannskapitän namens Johann Störtebeker im Visier, dessen Existenz historisch beglaubigt sei, der aber an keinem Punkt mit der unglaublich farbenreichen Mythengestalt eines „Piraten Klaus Störtebeker“ verbunden werden konnte. Auch die jetzige Welt-Geschichte ändert daran nichts. „Klaus Störtebeker“ ist und bleibt das Märchen, das er offenbar von Anfang an gewesen ist.

Es gibt über ihn, sein Leben und seine (Un-)Taten nicht den geringsten empirischen Fingerzeig, der von der Wissenschaft genutzt werden könnte, keine Dokumente, keine Historikerberichte aus der damaligen Zeit, keine genetischen Hinweise. Der Schädel, den man auf dem Hamburger Grasbrook, dem ehemaligen Hinrichtungsplatz der Stadt, ausgegraben hat und der nun als Schädel Störtebekers im Museum für Kunst und Gewerbe gezeigt wird, ist für die Forschung völlig unbrauchbar; zwar kann man seine DNA freilegen, doch wem sie zuzuordnen wäre, bleibt total im dunkeln.

Seitens der seriösen Wissenschaft kann es nach Lage der Dinge nur einen einzigen Schiedsspruch geben: Den Piraten Klaus Störtebeker hat es nie gegeben. Weder wurde er im Jahre 1401 auf dem Grasbrook hingerichtet, noch ist er mit dem Danziger Kapitän Johann Störtebeker identisch, sowenig wie mit anderen historischen Gestalten gleichen Nachnamens, etwa mit Nicolao Störtebeker aus Wismar. Und jenes zeitgenössische Porträt, das früher gern als Porträt Störtebekers vorgezeigt wurde, hat sich inzwischen als eines von Kunz von der Rosen herausgestellt, dem Hofnarren Kaiser Maximilians I.

Man kann nicht einmal sagen, daß der Name „Störtebeker“auf verwandtschaftliche Verhältnisse hindeute, daß es also um 1400 so etwas wie einen eingrenzbaren Clan von Störtebekern gegeben habe, dem dann auch ein „Klaus“ angehört haben könnte. Selbst diese genealogische Sicherung einer Realexistenz ist inzwischen von den Etymologen zerfleddert worden. „Störtebeker“ (niederdeutsch) heißt „Stürz den Becher“, und das war damals der Name vieler Geschlechter, von denen Angehörige dadurch auffällig geworden waren, daß sie einen Vier-Liter-Humpen voller Wein oder Bier, ohne ihn abzusetzen, leer trinken konnten.

Nur zu einer genuinen Märchengestalt paßt der Name, und das war er eben, der „Likedeeler“ Klaus Störtebeker: eine reine Märchengestalt, an deren Erfindung und Weitergabe freilich nicht nur das „einfache Volk“ arbeitete, sondern auch und gerade intellektuelle Eierköpfe, denen das Wort von den „Likedee-lern“ (Gleichteilern) sehr gefiel und von denen just in unseren Tagen einige eifrig dabei sind, Störtebeker zu einem Vorläufer der zur Zeit so modischen „sharing society“ zu stilisieren, zu einer Art Robin Hood der Ozeane und Binnenmeere.

In Wirklichkeit hatten die Likedeeler mit einer Umverteilung des Reichtums von oben nach unten nichts zu tun, es ging im Gegenteil um eine Umverteilung von unten nach oben. Durch das Aufkommen regional-staatlicher Zentralgewalten wurde das einst ganz Europa umspannende Handelsnetzwerk der Hanse mitsamt seiner festen Verabredungen über Routenverläufe und Gewinn-margen empfindlich gestört und allmählich gänzlich außer Kurs gesetzt. Regionale Patriziate waren nur noch auf eigenen Gewinn bedacht, und das führte zu schwersten und völlig neuartigen Konflikten.

Kapitäne erhielten staatlich beglaubigte sogenannte Kaperbriefe, mit denen sie „ganz legal“ und, wenn nötig, mit größter kriegerischer Gewalt Handelsschiffe der ehemaligen Hansebrüder und jetzigen Konkurrenten angreifen und deren Transportgüter komplett beschlagnahmen durften, um so für „Likedeeling“ zu sorgen. Die Grenzen zwischen räuberischer Piraterie und legaler staatlicher Kaperkunst verwischten sich, und dabei ist es bis heute geblieben, von den karibischen Abenteuern eines Sir Francis Drake über die britischen Kaperkapitäne gegen Napoleon bis hin zu den aktuellen Piraten vor Somalia und Eritrea.

Das Märchentier Klaus Störtebeker ist gewissermaßen die virtuelle Inkarnation dieser phantasieträchtigen Symbiose aus bösem Räuber und staatsbeauftragtem Kaperspezialisten – deshalb seine dauerhafte Popularität. Die SED in der ehemaligen DDR hatte Störtebeker sogar zum Volkshelden aufbauen wollen; ihr Preissänger Kurt Barthel („Kuba“) organisierte dafür extra die Störtebekerfestspiele auf der Insel Rügen. Die Festspiele gibt es noch heute, aber statt krampfhafter Robin-Hood-Tuerei gibt es dort, jetzt unter der Anleitung des Fern-sehunterhalters Wolfgang Lippert, nur noch Volkstanz und wüstes Schwertgeklirr.

Auf die Schlußapotheose, die alle Störtebekermärchen anbieten, verzichtet man dabei. Demnach soll der große Seeräuber vor seiner Hinrichtung gesagt haben, er werde sich nach seiner Enthauptung noch einmal erheben und seine 22 Mitangeklagten, die ebenfalls geköpft werden sollten, umarmen. Und alle, die er umarme, sollten nicht getötet werden. Die Hamburger Handelsherren waren einverstanden, ein Vertrag wurde aufgesetzt und unterschrieben.

Der Kopf fiel, der kopflose Körper erhob sich und umarmte. Doch bei Nummer elf brach er zusammen. Die elf umarmten Delinquenten wurden tatsächlich freigelassen, die übrigen elf jedoch ebenfalls geköpft. Vertrag ist Vertrag. Störtebeker wäre mit der Regelung wohl einverstanden gewesen.

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