© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Ausweitung der Hanfzone
Brennpunkt in Berlin: Kreuzberg ist „multikulti“ und Vorzeigeprojekt grüner Politik / In den Konflikten um Illegale, die mit Drogen handeln, offenbart sich eine rauhe Realität
Felix Krautkrämer

Ein kurzer Blick reicht. Wer nicht demonstrativ auf den Boden oder in eine andere Richtung schaut, wird sofort angesprochen. „Hey man, need something, wanna something?“ Es ist Freitag nachmittag, das Wochenende steht vor der Tür. Das bedeutet mehr Kundschaft für die afrikanischen Drogenhändler im Berliner Stadtteil Friedrichshain. In der Revaler Straße, unweit des S-Bahnhofs Wahrschauer Straße, stehen sie in Gruppen zu dritt alle zwanzig Meter in den Einfahrten und bieten ihre illegale Ware mit der Selbstverständlichkeit eines Hamburger Fischverkäufers an. Junge Männer in Daunenjacken, deren lässige Freundlichkeit jedoch nur aufgesetzt wirkt. Wer stehenbleibt und sein Handy zückt, wird genau beobachtet. Fotos sind unerwünscht.

Das Ordnungsamt kontrolliert Parkscheine

Einzelne Schwarze laufen die Straße immer wieder hoch und runter und sorgen mit drohenden Blicken dafür, daß der Drogenhandel ungestört ablaufen kann. Die Kundschaft ist bunt gemischt, wirkliche Junkies sieht man so gut wie keine. Dafür viele alternativ gekleidete Mittzwanziger, Touristen, Hipsters, das klassische Berliner Partyvolk eben. Angequatscht wird prinzipiell erst mal jeder, sogar Eltern mit Kindern. Wer die Gegend kennt, hat sich darauf eingestellt. Die afrikanischen Drogendealer sind mittlerweile fester Bestandteil des Straßenbilds. Zum Leidwesen der dortigen Geschäftsleute. Viele von ihnen wollen sich gegenüber der Presse nicht zu den Problemen äußern. Sie fürchten Racheaktionen oder wollen nicht als Rassisten gelten. Eine Ladenbesitzerin hat sogar Verständnis für die Dealer. „Die meisten von denen sind ja Flüchtlinge, die nicht arbeiten dürfen. Wovon sollen sie denn sonst leben?“

Die Rezeptionistin eines Hotels berichtet dagegen von Gästen, die aus Angst vor den Drogenhändlern lieber ein Taxi nehmen statt der nahe gelegenen U- und S-Bahn. „Vor allem, wer vom Land kommt, reagiert schockiert, wenn er plötzlich von mehreren Männern gefragt wird, ob er Drogen kaufen will. Das kennen die von zu Hause so nicht“, erzählt die junge Frau. Sie selbst sei auch schon oft angesprochen worden. Anfangs habe sie das nicht gestört. Doch mittlerweile habe sowohl die Häufigkeit als auch die Aggressivität zugenommen. Vor allem nach der Spätschicht habe sie auf dem Heimweg im Dunkeln ab und zu ein mulmiges Gefühl. „Die Polizei müßte hier viel mehr Druck machen und für Ordnung sorgen. Aber die schauen höchstens mal sporadisch vorbei. Das haben die Dealer auch gemerkt. Unsere Gäste von außerhalb verstehen das überhaupt nicht“, kritisiert sie.

Wie zum Beweis kontrollieren in diesem Moment zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes die Parkscheine der am Straßenrand stehenden Autos. Als sie auf eine Gruppe von vier Afrikanern zulaufen, die gerade in ein Geschäft mit einem Kunden verwickelt sind, wechseln die beiden uniformierten Männer die Straßenseite, um die dort parkenden Fahrzeuge zu überprüfen. Wenig später fährt ein Streifenwagen die Revaler Straße entlang. Auf Höhe der Drogendealer verlangsamt er das Tempo. Kurz sieht es so aus, als würden die Polizisten anhalten, doch dann fahren sie weiter. Die Afrikaner scheinen daran gewöhnt zu sein. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, in der Einfahrt zu verschwinden.

Ein Zustand, wie er auch im gerade mal zwei U-Bahnstationen entfernten Görlitzer Park in Kreuzberg zu beobachten ist. Der Park gilt seit langem als zentraler Drogenumschlagplatz, was mittlerweile sogar Eingang in Reiseführer gefunden hat. Im Frühjahr entdeckte dort eine Kindergartengruppe beim Spielen ein Depot der Droge Crystal Meth auf einem Spielplatz. Folgen hatte dies keine, auch dank der liberalen Drogenpolitik der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (siehe S. 6).

Angst vor Festnahme oder Abschiebung hat hier keiner

Wer sich über die Zustände empört, gerät schnell in den Verdacht, Rassist zu sein, denn auch im Görlitzer Park stammen die Dealer überwiegend aus Westafrika. Unverblümt fragen sie an den Eingängen jeden, der den Park betritt, ob er Drogen möchte. Immer wieder kommt es auch zu Raubüberfällen. Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Dealerbanden sorgen bei Parkbesuchern und Anwohnern zusätzlich für ein steigendes Gefühl der Unsicherheit. Die Polizei verteilte deshalb vor kurzem rund um den Park Postkarten an Touristen, auf denen sie vor Dealern und anderen Kriminellen warnte. Eine Sonderkommission der Polizei zur Bekämpfung des Drogenhandels im Park löste sich dagegen Mitte November auf. Nicht, weil die Beamten der Ermittlungsgruppe „Görli“ zuwenig zu tun hatten, sondern weil sie sich von der Polizeiführung zuwenig unterstützt fühlten.

Die Resignation ist verständlich. Wird ein Dealer festgenommen – nicht selten handelt es sich dabei um Asylbewerber – stehen kurze Zeit später zwei andere an der gleichen Stelle. Und auch der Verhaftete ist meistens wenig später wieder auf freiem Fuß. Das Ermittlungsverfahren wegen „Drogenhandels und -besitzes sowie Verstößen gegen die Aufenthaltsbestimmungen“ führt nur selten zum Erfolg. Das haben auch die afrikanischen Dealer mitbekommen, von denen sich viele illegal in Berlin aufhalten. Entsprechend dreist ist inzwischen ihr Auftreten. Längst hat sich der Drogenhandel weit über den Görlitzer Park hinaus ausgebreitet. Gäste der umliegenden Bars und Restaurants werden belästigt. Stört sich ein Betreiber daran, wird er bedroht. Der türkische Wirt einer Shisha-Bar nahm deswegen vor zwei Wochen das Heft selbst in die Hand. Zusammen mit einem Angestellten stach er zwei jugendliche Afrikaner nieder. Die beiden der Polizei als Dealer bekannten Männer überlebten schwer verletzt. Nach einem Bericht der taz hatte der Barbesitzer in den Tagen zuvor an die siebzigmal die Polizei wegen des Treibens vor seinem Lokal gerufen. Zwar kamen die Beamten stets, ändern an den Zuständen konnten sie jedoch nichts. Die Rache für die Attacke auf die beiden Dealer ließ nur kurz auf sich warten. Am Morgen nach der Tat verwüsteten etwa zehn Personen die Shisha-Bar. Wenige Stunden später versuchte eine weitere Gruppe, das Lokal in Brand zu stecken. Beide Male stammten die Täter aus Afrika.

Der Fall von mutmaßlicher Selbstjustiz sorgte für Schlagzeilen. Der Tagesspiegel warnte, in Kreuzberg könnte die Stimmung kippen. Offenbar erst durch die Zeitungsberichte alarmiert, kündigte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) die Bildung einer „Task Force“ zur Bekämpfung des Drogenhandels an. Seitdem zeigt die Polizei verstärkt Präsenz im Görlitzer Park. Auch das grüngeführte Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg reagierte und ließ Anfang der Woche die Büsche im Görlitzer Park schneiden, damit die Dealer dort ihre Drogen nicht mehr verstecken können. Zwar habe es gegen diesen Schritt Bedenken gegeben, sagte Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne), doch die Sicherheit der Bürger gehe nun mal vor. Ob die sich durch die Maßnahme wirklich sicherer fühlen, ist fraglich. Schließlich verkaufen die afrikanischen Dealer ihre Drogen längst nicht mehr nur aus dem Gebüsch heraus. Und Angst, nach einer Festnahme abgeschoben zu werden, müssen sie in Berlin nicht haben.

Das zeigt sich auch in der Revaler Straße. Dem einzelnen Streifenwagen, der scheinbar unverrichteter Dinge wieder davonfährt, folgt kurze Zeit später ein größeres Polizeiaufgebot. Einige Dealer können gerade noch rechtzeitig in den Seitenstraßen verschwinden, die übrigen Afrikaner werden kontrolliert. Schnell tummeln sich einige Passanten um das Geschehen und empören sich über das Vorgehen der Polizei. „Die werden doch nur kontrolliert, weil sie schwarz sind“, schimpft eine von ihrem Fahrrad abgestiegene Frau zu ihrer Begleiterin. „Ja, genau“, pflichtet diese ihr bei. „Als ob alle Afrikaner mit Drogen handeln.“ Beide schütteln demonstrativ den Kopf. Der Nachwuchs im Kindersitz auf dem Gepäckträger scheint sich dagegen über den Anblick der vielen Polizisten zu freuen. Aufgeregt zeigt er mit dem Finger auf den Polizeitransporter am Gehsteig. Ein junger Mann mit Jeansjacke und Koteletten zuckt im Vorbeigehen die Schultern. „Flüchtlinge schikanieren. Das ist bei der Berliner Polizei doch nichts Neues.“ Nach etwa 20 Minuten ist die Aktion vorüber. Weitere zwei Minuten, nachdem die Polizei fort ist, kommen die ersten Dealer aus ihren Verstecken zurück und nehmen ihre Geschäfte unbeeindruckt wieder auf. Daran ändert auch eine zweite Razzia der Polizei kurz darauf nichts. Eine neue Runde des Katz-und-Maus-Spiels beginnt. Wieder werden einige Afrikaner festgesetzt und wieder erscheinen neue Dealer, sobald die Beamten abgerückt sind. Nur die aufgesetzte Fröhlichkeit ist jetzt aus ihren Gesichtern verschwunden und auch das „Hey man, need something?“ kommt nun etwas leiser.

 

Problemkiez

Die Rauschgiftdelikte haben im vergangenen Jahr in Berlin insgesamt zugenommen (um knapp zehn Prozent). Die Steigerungsrate beim Handel mit Drogen betrug im Vergleich zu 2012 etwa drei Prozent. Allerdings gehört dieser Teil der Kriminalität zu den sogenannten Kontrolldelikten, das heißt: Nur wenn die Polizei kontrolliert, fallen diese Straftaten überhaupt auf und finden somit Eingang in die Statistik.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gehört laut internen Erhebungen der Berliner Polizei zu den gefährlichsten in der Hauptstadt. Knapp 21 Prozent der insgesamt über 363.000 Straftaten wurden hier begangen. Daß hier nicht nur die meisten Taschendiebstähle stattfinden, sondern auch am häufigsten auf der Straße geschlagen wird, liegt unter anderem an Konflikten zwischen Drogendealern und ihren Kunden. Im Umkreis der Hauptumschlagplätze weist der Kriminalitätsatlas Berlins einen Anstieg von über 30 Prozent innerhalb eines Jahres auf.

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