© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Glanz der Offenbarung
Jörg Lausters Untersuchung über die Spuren des Christentums in Musik, Kunst und Architektur
Felix Dirsch

Der frühere Papst Johannes Paul II. stellte einst die Frage, was übrigbliebe, wenn man sich die Einwirkungen des Christentums auf Kunst und Kultur des Abendlandes für einen Moment wegdenke. Die Antwort liegt auf der Hand: über Jahrhunderte hinweg fast nichts. Dieser Einschätzung läßt sich sogar noch heute heuristisch einiges abgewinnen. Nähert man sich einem deutschen Dorf von Ferne, so ist es in einer Vielzahl von Fällen der Kirchturm, der zuerst ins Auge sticht. Auch in anderen Regionen Europas ist Vergleichbares festzustellen.

Trotz dieser unstrittigen Einflüsse (oder besser: wegen) ist es nicht einfach, die „Verzauberung der Welt“ durch das Christentum nachzuzeichnen. Es ist erfreulich, daß sich der evangelische Theologe Jörg Lauster (Universität Marburg) an das Mammutunternehmen heranwagt. Das Verhältnis der Gläubigen zu weltlichen Gütern ist nur schwer auf einen Nenner zu bringen. In den ersten Jahrhunderten seiner Existenz wurde die junge Religion tendenziell von kulturfeindlichen Strömungen dominiert, was bildliche Darstellungen erst relativ spät als verbreitetes Phänomen ermöglichte, so sehr sich schon früh Versuche der Umgehung des strengen alttestamentlichen Bilderverbotes erkennen lassen. Nach der sogenannten Konstantinischen Wende zeigte sich auch auf diesem Feld weithin eine Umorientierung.

Die neue kulturgestaltende Macht wird besonders an den Leistungen des Benediktinerordens deutlich. Lauster beschreibt ausführlich die gestaltprägenden Kräfte des Christentums im Mittelalter, von denen die Kathedralbaukunst herausragt. Auch auf weniger bekannte Traditionslinien wird eingegangen, beispielsweise auf die Wirkungen des Heiligen Franz von Assisi auf die Frührenaissance – eine These, die zuerst Henry Thode wirkmächtig vertreten hat.

Es folgen ausführliche Erörterungen der kulturstiftenden Kräfte des Christentums in der Renaissance, die ein berühmter Kenner dieser Epoche im 19. Jahrhundert, Jacob Burckhardt, minimiert hat, heutige Experten, etwa Peter Burke, hingegen stärker gewichten. Auch in der Reformation mit ihren völlig distinkten Phasen und sehr verschiedenen Persönlichkeiten bemerkt man die alte Ambivalenz des Christentums gegenüber Kulturellem: Förderer humanistisch-weltlichen Geistes wie Melanchthon finden sich ebenso wie radikale Bilderstürmer.

Die letzte große, vom christlichen Geist bis in alle seine Facetten durchwaltete Epoche des Barocks, das eindrucksvolle Beispiele im Hinblick auf das Gesamtkunstwerk hervorbringt, wird von Lauster genauso gründlich untersucht wie das Wirken der Aufklärer, die sich größtenteils vom Christentum nicht per se, aber in seiner überlieferten Form abwenden. Der Nützlichkeitsaspekt tritt hervor. Die Französische Revolution bringt einen kolossalen Umbruch. Erstmals seit rund eineinhalb Jahrtausenden werden Christen massenweise verfolgt.

Ohne christliche Einflüsse ist Kunst kaum zu verstehen

Im letzten Kapitel thematisiert Lauster die kulturelle Relevanz der Kirchen im 19. wie im 20. Jahrhundert. In der Moderne sieht er in entscheidender Weise individuelle religiöse Erfahrungen zum Tragen kommen. Das verbindet Caspar David Friedrich mit Mozart, Novalis und Dostojewski. Es liegt nahe, daß der Verfasser angesichts einer solchen Perspektive die berühmte Sedlmayrsche These von der notwendigen hieratischen Verankerung der Kunst – ohne diese Verwurzelung verliert sie demnach ihre „Mitte“ – verwerfen muß.

Lauster hat sich ein schwieriges Thema ausgesucht und die Herausforderung bestanden. Ihm ist es gelungen, einen eindrucksvollen Bogen von der Welt des frühen Christentums bis in die unmittelbare Gegenwart zu schlagen. Auffallend ist, daß er etliche Facetten der kulturellen Präsenz des Christentums im zwanzigsten Jahrhundert zwar erwähnt, dieses aber doch – gemessen am gesamten Aufbau der Arbeit – etwas unterbelichtet läßt.

Der Grund, warum am Ende der Arbeit die Stoffülle übergebordet sein dürfte, liegt wohl darin, daß der Verfasser streckenweise zu sehr allgemeine kirchengeschichtliche Themen abgehandelt hat und zuwenig auf die spezielle Problemstellung eingegangen ist. Die geringe Betonung des 20. Jahrhunderts ist freilich schade, wenngleich zu konzedieren ist, daß die Passagen über die Schwierigkeiten des modernen Kirchenbaues und die Herausforderungen der künstlerischen Autonomie anregend beschrieben sind.

Theologen und Kunstwissenschaftler wie Günter Rombold, Wieland Schmied und Horst Schwebel haben in den vergangenen Jahrzehnten tiefere Hintergründe der modernen bzw. gegenwärtigen Kunst aufgezeigt, die ohne transzendente Einflüsse kaum zu verstehen sind. Freilich gilt auch in diesem Kontext das Wort Franz Schnabels, daß Vollständigkeit der Tod aller Wissenschaft sei. Die Studie ist gut lesbar verfaßt und wird durch ein hilfreiches, ausführliches Personen- und Literaturverzeichnis abgerundet.

Jörg Lauster: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums. C.H. Beck Verlag, München 2014, gebunden, 734 Seiten, 34 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen