© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Pankraz,
Ernst Haeckel unddie Spur der Gene

In Jena hat die Max-Planck-Gesellschaft ihr dortiges Institut für Ökonomie zu einem „Institut für Geschichte und Naturwissenschaften“ umgewidmet. Was soll da künftig erforscht werden? Die Naturwissenschaften sind ja ein sehr weites Feld. Der nähere Augenschein zeigt denn auch, daß es sich um ein Institut handelt, das eher „Geschichte und Genetik“ heißen müßte. Zwei prominente Genetiker, der Deutsche Johannes Krause und der Neuseeländer Russell Gray, teilen sich Kompetenzen und Forschungsmittel, und beide haben auch schon ziemlich spektakuläre Erklärungen über ihre Arbeitsvorhaben abgegeben,

Das neue Institut soll sich keineswegs auf die Urzeit der Menschwerdung, auf Neandertaler und Cro-Magnon, beschränken. Professor Gray kündigte an, er werde mit den Mitteln der Genetik wichtige Mechanismen mittelalterlicher und neuzeitlicher Staats- und Religionsbildung freizulegen versuchen, und Professor Krause annoncierte eine genetische Analyse der sogenannten Völkerwanderung im ersten Jahrtausend nach Christus. Selbstverständlich werde er auch andere, nichtgenetische, rein chemisch-physikalische Methoden benutzen, aber im Mittelpunkt werde stets die DNA-Analyse stehen.

Mahnend wird von beiden Gelehrten darauf hingewiesen, daß die deutsche Wissenschaft bei der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Geschichte und Genetik einen eminenten Nachholbedarf habe. In den angelsächsischen Ländern sei die „Genetic History“ längst zu einem weitverzweigten Fach herangereift, das hier und da bereits zu tiefgreifenden historiographischen Revisionen führte beziehungsweise temperamentvolle öffentliche Diskussionen weit über Wissenschaftskreise hinaus auslöste.

DNA-Analysen hatten zum Beispiel zutage gebracht, daß die germanische, angelsächsische Immigration nach England im 5. bis 7. Jahrhundert mit einem fast kompletten Austausch der männlichen Bevölkerung auf der Insel einhergegangen war. Diese genetischen Forschungsresultate standen aber quer zu den Aussagen der bisher dominierenden Mittelalterhistorie, die den „Germanisierungsgrad“ der britischen Bevölkerung eher kleinhalten wollte und sich demnach auch nicht immer verkniff, den Genforschern Vorurteil oder gar verkappten „Rassismus“ zu unterstellen.

Hoffentlich werden durch solche Vorkommnisse nun in Jena keine schlafenden Hunde geweckt. Die Stadt ist in Hinsicht auf Erbforschung und Abstammungslehren gewissermaßen kontaminiert. Dort lehrten Ernst Haeckel und Hans F. K. Günther, hier wurde das biogenetische Grundgesetz formuliert, hier blühten Sozialdarwinismus und die Überzeugung von der Prägekraft differierender Rassezugehörigkeiten. Zwar kannten weder Haeckel noch Günther das Gen und seine Macht über das Leben, aber ihre Theorien liefen tatsächlich schon präzise auf eine „Genetic History“ hinaus.

„Genetic History“ ist die Interpretation geschichtlicher Vorgänge als Folge genetischer, nicht oder kaum zu ändernder biologischer Konstellationen. Was früher „Rassezugehörigkeit“ hieß, heißt heute DNA-Zugehörigkeit. Der Genetik-Historiker untersucht die Gräber vergangener Epochen, präpariert die DNA-Spuren der Begrabenen heraus und setzt sie in Beziehung zu dem, was sonst von diesen Toten überliefert ist. Und er tut das nicht (oder nicht nur) von Einzelperson zu Einzelperson, sondern vergleicht – wenn er über genügend DNA verfügt – ganze Bevölkerungen miteinander.

Ein solches Verfahren ist heute in Deutschland von vornherein höchst verdächtig. „Das ist Rassismus in DNA-Verkleidung“, mäkelte in Jena denn auch schon ein PC-Aufseher, und man darf gespannt sein, wie das neue Institut auf derlei Anwürfe reagieren wird. Professor Krause hat mittlerweile energisch darauf hingewiesen, daß es ihm und seiner Forschungsgruppe keineswegs um biologische Unterschiede an sich gehe; diese seien nicht selbst das Erkenntnisziel, sondern würden sorgfältig als Quelle für die Geschichte kultureller Gruppen genutzt.

Pure Selbstverständlichkeit, möchte Pankraz, halb zornig, hinzufügen. Viel wichtiger erscheint ihm, daß das Jenaer Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften seinem Namen in Zukunft die volle Ehre erweist und die Naturwissenschaften in ihrer ganzen Breite und Ausfaltung ins Auge faßt. Die Gene sind nicht alles, am allerwenigsten in der Geschichte der Menschheit. Gleich mächtig treten an ihre Seite die spezifischen Räume, die die Menschen besiedeln, die Landschaften, in die sie eintreten, die Artgenossen und übrigen Lebewesen.

Zu behaupten, unsere Reaktionen auf all die Gestalten, die uns im Laufe des Lebens begegnen, seien durch unsere DNA-Struktur von oben bis unten vorgegeben und durch nichts zu verändern, grenzt an Aberwitz; übrigens haben Haeckel und selbst Günther dergleichen nie behauptet. Alles verändert sich, nicht zuletzt die DNA-Struktur der Familien, Stämme und Völker selbst, die ja durch die großen historischen Migrationsbewegungen und die damit verbundenen biologischen Kreuzungen immer neu codiert werden.

Ein Papua aus Neuguinea und ein Polynesier aus Samoa haben die genau gleichen „primären“, genetischen Merkmale, aber ihr „sekundärer“ Phänotyp, also Hautfarbe, Behaarung, Gesichtsschnitt usw. ist höchst verschieden. Und was vom Phänotyp im engeren Sinne gilt, gilt nicht minder für das soziale Verhalten, für Sex und Heiratsbräuche, für die Götter, die angebetet, für die Dämonen, die gefürchtet werden. Auch sie sind eklatant verschieden, für jeden Beobachter sofort wahrnehmbar, und jeder hinterläßt historische Spuren. Mit bloßer „Genetic History“ ist da nichts zu erklären.

Fest steht aber schon jetzt: Das neue Jenaer Max-Planck-Institut wird außerordentlich viel zu tun haben, um in den Augen von Historikern, Biologen und Landschaftspflegern gleichermaßen Kontur zu gewinnen. Man darf ihm Glück und gutes Gedeihen wünschen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen