© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Flexibles Familienunternehmen
Mittelstand: Die niedersächsische Firma Sennheiser zeigt, daß deutsche Qualitätsarbeit nach wie vor gefragt ist
Paul Leonhard

Eine Lobeshymne aus der FAZ – auf einen Kopfhörer: Der Baß rolle eher warm, rund und wohlwollend durch die Lieder, und er dominiere auch den Rest der Band. Seit der Internationalen Funkausstellung in Berlin schwärmt die Zeitung vom Kopfhörer Urbanite XL für 230 Euro. Und besonders wichtig: „Jugendliche können ­auch dank seines farbenfrohen Designs ­ getrost über den Schulhof schlendern, um sich der Konkurrenz aus Amerika zu stellen.“

Letzteres dürfte man in Wennebostel bei Hannover, wo die Sennheiser electronic GmbH & Co KG ihren Sitz hat, besonders gern lesen. Denn wie wichtig Modetrends sind, hat das deutsche Traditionsunternehmen vor einigen Jahren schmerzlich erfahren müssen. Der amerikanische Rapper Dr. Dre hatte quasi aus dem Nichts ­die Firma Beats Electronics gegründet, und die großen, bunten Kopfhörer mit dem charakeristischen „b“ begeisterten die junge Generation. Da spielte fürs erste keine Rolle mehr, daß der in etwa gleich teure amerikanische Anbieter technisch und akustisch mit den Deutschen nicht mithalten konnte. Noch mehr staunten sie in Niedersachsen darüber, daß der Elektronikkonzern Apple bereit war, im Mai dieses Jahres drei Milliarden Dollar für Beats Electronics zu bezahlen.

Die Alliierten untersagten Fritz Sennheiser seine Arbeit

Sennheiser hat reagiert. 2013 kam die hochwertige Momentum-Serie auf den Markt, und die Kunden kehrten zurück. Vor allem jene, denen es um den „wahren Klang“ geht. Seit fast siebzig Jahren steht der Name Sennheiser für Qualität, authentischen Klang und maßgeschneiderte Lösungen, wenn es um Aufnahme, Übertragung und Klangwiedergabe geht.

„Wir wollen nicht nur, daß die Menschen in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Klang hören, wir wollen auch, daß sie ihn fühlen können“, heißt das Credo des Unternehmens, das 1945 von Fritz Sennheiser als „Laboratorium Wennebostel“ gegründet wurde, heute weltweit über 2.500 Mitarbeiter beschäftigt und 2013 einen Umsatz von 590,5 Millionen Euro erwirtschaftet hat.

Die Geschichte des Unternehmens ist eine für das westdeutsche Wirtschaftswunder und den Enthusiasmus der Aufbaugeneration typische. Der Berliner Sennheiser hatte bis Kriegsende als Techniker am Institut für Hochfrequenztechnik und Elektroakustik der TH Hannover gearbeitet, das nach Wennebostel verlegt worden war. Da die Alliierten den Wissenschaftlern die Weiterarbeit auf ihrem Spezialgebiet, der Chiffriertechnik, untersagten, gründete Sennheiser einen Handwerksbetrieb und produzierte Meßgeräte. Abnehmer war beispielsweise Siemens, von dem auch der Auftrag kam, ein Mikrofon nachzubauen.

Sennheiser beließ es nicht dabei, sondern präsentierte 1947 mit dem MD2 das erste selbst entwickelte Mikrofon. Als 1958 das Labor W in Sennheiser electronic umbenannt wurde, fertigte das Unternehmen mit 450 Mitarbeitern bereits hundert verschiedene Produkttypen, darunter ein Richtrohrmikrofon. Mit dem neuen Namen sollte die eigene Marke gestärkt werden. Sennheiser wollte unabhängiger von den großen Elektronikfirmen werden. Heute ist das Unternehmen einer der führenden Hersteller von Kopfhörern, Mikrofonen und drahtlosen Übertragungssystemen.

Daß ein Unternehmen nur erfolgreich sein kann, wenn es nicht nur ein Gespür für Innovationen, sondern auch für Marktentwicklungen hat, hat Fritz Sennheiser früh begriffen. Als Reaktion auf sinkende Margen im Zuliefergeschäft, begann er den Privatmarkt zu erobern und das Auslandsgeschäft zu stärken. Produktionsstandorte in Irland und den USA entstanden, weltweit wurden Vertriebstöchter aufgebaut. Nicht alle Investitionen waren Glücksgriffe. Die Sanierung des 1991 erworbenen Berliner Studiomikrofonherstellers Georg Neumann erwies sich als kostspieliger, als geplant. Für Turbulenzen sorgten auch billige Produkte aus Asien sowie die dortigen Markenpiraten.

Immer wieder wurde die Produktpalette überarbeitet und die Konkurrenz überrascht: 1968 mit dem HD 414 als erstem offenen Kopfhörer der Welt. 1987 gab es den „technischen Oscar“ für das Richtmikrofon MKH 816, das den Schall aus großer Entfernung „punktgenau“ aufnahm, 1996 einen Emmy Award für die Entwicklung drahtloser Mikrofone. Im Unternehmen wird gern die Geschichte erzählt, wie der Entertainer Peter Frankenfeld einst in einer Unterhaltungsshow das Kabel seines Handmikrofons durchschnitt und trotzem weiterhin gehört wurde. 1998 und 1999 gab es den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft.

Besonders wichtig dürfte in diesem Jahr die Verleihung des Titels „Familienunternehmer des Jahres 2014“ gewesen sein. Firmenpatriarch Jörg Sennheiser wurde dort ausgezeichnet, weil er „das Unternehmen mit ruhiger Hand und Weitblick geführt und seinen Söhnen eine kerngesunde Firma ohne Altlasten übergeben hat“. Damit ist bereits die dritte Generation Sennheiser in der Firmenzentrale angekommen.

Eine Erfolgsbilanz in schwierigem Marktumfeld. Denn auch wenn Unterhaltungselektronik gefühlt ein großer Wachstumsmarkt ist, so haben die letzten Jahre deutliche Umsatzeinbußen mit sich gebracht: Der Jahresumsatz der Branche ist von 15 Milliarden (2011) auf 10,7 Milliarden Euro (2013) gesunken. Die Beratungsgesellschaft Roland Berger urteilt daher, dieser Markt sei wegen der Krisen rund um den Erdball „kaum noch zu prognostizieren“. Wichtig sei es, „flexibel auf unabsehbare Entwicklungen und Trends zu reagieren“. Das hat Sennheiser immer getan, und das ist das Geheimnis des Firmenerfolges.

Foto: Kundin mit Sennheiser-Kopfhörer: „Ein Unternehmen nur erfolgreich sein kann, wenn es ein Gespür für Marktentwicklungen hat“

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