© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Ein Volk sammelt für seine Armee
Besuch im Lemberg: Voller Wut auf Moskau und ohne Vertrauen in die Regierung rüsten junge Ukrainer zum Krieg
Billy Six

Dmitro wird energisch. „Meine Frau ist dagegen“, sagt der 30jährige, „aber ich habe sie vor die Wahl gestellt: Zelt oder Front.“ Nun schiebt der Architekt erst einmal jede Nacht Wache im Straßenlager der Freiheitsallee im westukrainischen Lemberg/Lwiw. Ganz in Maidan-Tradition vom letzten Winter sammeln 27 Mitstreiter der Freiwilligenorganisation „Varta 1“ Tag und Nacht Geld für ihre mies ausgestattete Armee an der Ostfront. Wer als Besucher dazustoßen möchte und sich nicht am mangelnden Komfort um den kleinen Metallofen stört, ist willkommen.

Freiwillige aus Westeuropa helfen bei der Ausbildung

Angela Merkels von deutschen Medien als „stark und mutig“ gefeierte Sydney-Rede, in der sie eine Verletzung der ukrainischen Souveränität durch Rußland anprangerte, nimmt hier niemand ernst. Wenn keine Frauen in der Nähe sind, geben die Männer zu Protokoll, was sie von allen Politikern dieser Welt halten: Die seien „pidar“, im Ukrainischen wie Russischen ein abwertendes Wort für „schwul“. Besonders gegenüber der eigenen Regierung hat sich die Dauerenttäuschung verfestigt.

In der 700.000-Einwohner-Stadt, die in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder als Motor des ukrainischen Nationalismus in Erscheinung getreten ist, scheint sich die Auffassung durchgesetzt zu haben, daß selbst die neue politische Führung ihre Soldaten im Stich lasse. „Fehlende Kampferfahrung, Korruption im System und heimliche Drähte in der Führung nach Rußland“, wie es Aktivist Mikola zusammenfaßt, seien die akuten Stolpersteine der „Anti-Terror-Operation“ gegen die – gefühlte – russische Invasion.

Trotz Wirtschaftskrise kommen auch jetzt, im fünften Monat der Sammelaktion, noch 3.000 bis 10.000 Griwnja (cirka 150 bis 500 Euro) wöchentlich für den Erwerb von Schutzwesten, Medikamenten, Helmen und Stiefeln zusammen. Öffentlich ausgehängte Bilder dokumentieren die privaten Transportfahrten an die wild anmutenden Militärposten gute 1.000 Kilometer weiter östlich im Krisengebiet von Donezk.

Noch hält dort im großen und ganzen die fragile Waffenruhe der Minsker Übereinkunft vom September. Doch der Druck des Umbruchs hat die Identitätsfrage auf die Tagesordnung gebracht: In Ostgalizien, neuerdings auch Kiew, stellen zahlreiche blau-gelbe Nationalflaggen an Hausfassaden und Autoscheiben ein sichtbares Bekenntnis für die ukrainische Nation dar. Auf der Krim waren es im gleichen Ausmaß russische Fahnen gewesen. Nicht umsonst hat Rußlands Präsident Putin im exklusiven NDR-Interview in bezug auf das Nachbarland festgehalten: „Es fehlt, wie ich denke, das Verständnis dafür, daß um erfolgreich, stabil und wachsend zu sein, alle Menschen, die auf diesem Gebiet leben, egal welche Sprache sie sprechen ein Gefühl dafür entwickeln müssen, daß dieses Territorium ihre Heimat ist.“ Das grüne Licht des Internationalen Gerichtshofes im Fall der Kosovo-Unabhängigkeit sieht Putin dabei als „klaren und jüngeren Präzedenzfall“. Eben für das Recht regionaler Bevölkerungen, über ihre Unabhängigkeit abstimmen zu dürfen, ohne „die zentrale Regierung des Staates, auf dessen Territorium sie sich momentan befindet, nach deren Meinung zu fragen“.

Unerwartet kommt ein Opel Frontera vorgefahren. Eine vierköpfige Gruppe des als „rechtsextrem und ultranationalistisch“ geltenden „Bataillon Asow“ nutzt den Zwischenstopp in Lemberg für Absprachen mit Kontaktmännern.

Dank privater Spenden, so der 21jährige Anführer, konnte der Geländewagen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis überführt werden – und ist jetzt auf dem Weg ins Kampfgebiet. In seinem Fernsehauftritt hatte der russische Staatschef vor allem diese Gruppierung vor Augen, als er von Kämpfern mit „faschistischer Symbolik“ sprach. Moskau und den Separatisten ist „Asow“ gerade deshalb ein Dorn im Auge, da sich die Formation mehrheitlich aus der Südost-Ukraine rekrutiert. Der junge Chef dieser Mannschaft stammt von der Krim. Seine Eltern hätten sich mit der Lage arrangiert, die Freundin wegen seiner „faschistischen Haltung“ Abschied genommen. „Der Russe sagt, seine Seele sei die beste auf der Welt“, so der junge Mann in Tarnuniform, „aber nennt mich einen Faschisten.“ Daß die formal dem Innenministerium unterstellte Kampfeinheit mehrerer hundert Krieger noch auf die Regierung höre, bestreitet der Gesprächspartner. Ihm klappe „das Messer in der Tasche auf“, wenn er sehe, wie junge Männer sich in der malerischen Habsburger-Altstadt von Lemberg mit Alkohol und Mädchen vergnügten, „während unser Land vor die Hunde geht“. Eine allgemeine Einberufung gibt es nicht. Wenigstens würden mehrere Freiwillige aus Schweden, Frankreich, England, den USA und Italien bei der Ausbildung helfen, sagt der namenlose Mann noch zum Abschied. „Nur die Polen nicht“ – die würden sich noch an „angebliche Verbrechen“ ukrainischer Partisanen im Zweiten Weltkrieg erinnern.

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