© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Vorwärts und vergessen?
Jürgen Elsässer: Wie ein radikaler Linker mit seiner Vergangenheit bricht – und es letztlich doch nicht tut
Hinrich Rohbohm

Nein, leicht ist es nicht, mit Jürgen Elsässer über Jürgen Elsässer zu sprechen. Wir haben die einzige auf der Netzseite seiner Zeitschrift angegebene Telefonnummer gewählt. Der 57jährige geht persönlich an den Apparat. Ob er bereit sei, mit der JUNGEN FREIHEIT über sich und sein Magazin zu reden, wollen wir wissen. „Das muß ich mir erst noch überlegen, rufen Sie doch nächste Woche nochmal an“, lautet die Antwort. Ein Gespräch in den Compact-Redaktionsräumen lehnt er gleich ab. „Die sind tabu, da kam bisher noch niemand rein“, sagt er der JF.

Eine Woche später geht auch nach zahlreichen Anrufen niemand mehr ans Telefon. Nicht Jürgen Elsässer, nicht der im Impressum aufgeführte Chef vom Dienst, nicht die ebenfalls dort verzeichnete Assistentin des Chefredakteurs. Eine Straßenanschrift der Zeitschrift existiert nicht, lediglich eine Postfachadresse. Wir kontaktieren Jürgen Elsässer per E-Mail, stellen ihm 16 Fragen. Antwort: Fehlanzeige.

Wer also ist Jürgen Elsässer? Ein Rechter, der mit der Linken gebrochen hat? Ein egomanischer Exzentriker, der es genießt, im Mittelpunkt zu stehen? Ein Verschwörungstheoretiker oder jemand, der lediglich mit verschwörungstheoretischen Geschichten Geschäfte macht? Oder stecken hinter seinen radikalen Meinungswechseln politische Kontinuitäten? Seine Kritiker nennen ihn einen Scharlatan, Amerikahasser oder Einflußagenten Moskaus. Seine Fürsprecher sehen in ihm jemanden, der dem Mainstream der Medien Paroli bietet, mehr als andere Journalisten hinter die Kulissen des weltpolitischen Geschehens blickt und dabei vor heißen Eisen nicht zurückschreckt. Was die einen „krude Verschwörungstheorien“ nennen, die Elsässer für sich als Geschäftsmodell entdeckt habe, sehen seine Anhänger als Enthüllungsgeschichten an, die andere nicht veröffentlichen. Auf Montagsmahnwachen (JF 20/14) kennt ihn nahezu jeder. Der gebürtige Pforzheimer genießt unter den Protestlern einen guten Ruf.

„Ich kann das alles belegen“, meint der kleine, schon etwas ältere Mann mit dem auffälligen pinkfarbenen Hemd und kramt in seiner Plastiktüte. Er gehört zu jenen hundert Leuten, die sich an der Katharinentreppe, nahe dem Dortmunder Hauptbahnhof zur Montagsmahnwache für den Frieden eingefunden haben. Triumphierend zieht er ein Zeitschriftenmagazin hervor: Compact. „Da ist genau beschrieben, wie uns die USA in einen Krieg verwickeln wollen“, betont er. „Elsässer ist jemand, der hinter die Kulissen blickt und die westliche Kriegspropaganda entlarvt“, sekundiert ihm eine Frau um die fünfzig.

Durch seine extrem prorussische Haltung im Ukraine-Konflikt ist der gelernte Lehrer in den vergangenen Monaten in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Mit seinem 2010 gegründeten Magazin versteht er es, die Neugier seiner Leser zu wecken. Auch Konservative interessieren sich für seine Geschichten. Vor allem bei der Alternative für Deutschland (AfD) versucht er, seine prorussischen Ansichten unter die Leute zu bringen. Er wird zu Veranstaltungen geladen, tritt in Kreisverbänden als Redner auf. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt im März dieses Jahres war Compact mit einem Informationsstand vertreten.

„Spaltung Deutschlands war größte Leistung der Linken“

Als vier der sieben AfD-Europaabgeordneten im Juli dieses Jahres für Sanktionen gegen Rußland stimmten, versuchte Elsässer, die Basis der noch jungen Partei gegen ihre Führung aufzuwiegeln, nannte die Sanktionsbefürworter um Parteichef Bernd Lucke „Verräter“. „Deswegen, liebe gute Parteibasis der AfD: Deutschland blickt auf Euch! Jetzt ist die Zeit der Rebellion gekommen! Sorgt dafür, daß Euer Parteivorstand den Verrat und die Verräter der Europaparlamentsfraktion bestraft! Zeigt den Herren Professoren, wo der Bartel den Most holt! Ihr seid das Volk, nicht die Funktionäre!“

Über die politischen Hintergründe Elsässers herrscht oft Unkenntnis. Daß er einst bis zu dessen Auflösung 1991 dem Kommunistischen Bund (KB) angehörte, ist längst nicht jedem bekannt. Elsässer schrieb für die Parteizeitung des KB, den Arbeiterkampf. 1990 publizierte er dort einen Artikel mit der Überschrift „Warum die Linke antideutsch sein muß“. Er gilt seitdem als Erfinder der antideutschen Strömung innerhalb der radikalen Linken. „An der Entstehung dieser Strömung hatte auch ich selbst keinen geringen Anteil, und ich muß mich dessen nicht schämen. Denn zu Beginn, im Jahre 1989, sah es tatsächlich so aus, als ob in der Mitte des europäischen Kontinents erneut der fette Koloß entstehen würde, der seine Nachbarn und die Welt im 20. Jahrhundert schon zweimal mit schrecklichen Kriegen überzogen hatte“, schreibt Elsässer noch 2007 in seinem Buch „Angriff der Heuschrecken“.

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung identifizierte er sich mit dem Schlachtruf „Nie wieder Deutschland“ Mehr noch: „Von mir kam 1990 die Idee, das ‘Nie wieder Deutschland’-Plakat für die zentrale Demonstration gegen die Wiedervereinigung mit Marlene Dietrich aufzumachen – die hatte ja tatsächlich mit den Alliierten gegen Nazi-Deutschland gekämpft und wollte hinterher ‘nie wieder’ zu den Krauts zurück.“

Auch in „Angriff der Heuschrecken“ schreibt er: „... dieser Slogan wurde von unserer Polit-Gruppe in Stuttgart zu Jahresanfang 1990 erfunden, im Zweifelsfall liegt das Copyright bei mir. Nach dem Fall der Mauer sah es wirklich so aus, als ob ein ‘Viertes Reich’ entstünde, deswegen mußte man antideutsch sein.“ Weil ihm der Oppositionskurs des KB gegen die deutsche Einheit sowie gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Geschichtsrevisionismus nicht radikal genug war, spaltete Elsässer sich Anfang der neunziger Jahre mit weiteren KB-Leuten zur „Gruppe K“ ab, aus der 1992 die linksextremistische und antideutsche Zeitschrift Bahamas hervorging, zu deren Herausgebern Elsässer fortan gehörte. Später arbeitet er als leitender Redakteur für die Junge Welt, das einstige Zentralorgan der FDJ. Dort dominierte die Ablehnung Israels und der westlichen Demokratien, während das Blatt deutlich Sympathie gegenüber radikalen Palästinensergruppen bekundete.

Als der damalige Chefredakteur Klaus Behnken von der Geschäftsführung abgesetzt worden war, um so die Zeitung auf einen gemäßigteren Kurs zu bringen, gehörte Elsässer mit zu jenen Redakteuren, die 1997 aus Protest dagegen die Wochenzeitung Jungle World gründeten. Das Blatt gilt als eine der wichtigsten Publikationen der antideutschen Bewegung. Und vertritt in bezug auf Israel und die USA eine gegenteilige Position. „Wir sind dezidiert nicht antizionistisch, antisemitisch und antiamerikanisch“, erklärte Mitherausgeber Ivo Bozic in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung, für die Elsässer ebenfalls einst geschrieben hatte. Auch für die vor der Wende 1989 von der DDR sowie dem Bremer Bauunternehmer, KPD-Mitglied und FDJ-Funktionär Klaus Hübotter mitfinanzierte Zeitschrift Konkret war Elsässer in den neunziger Jahren tätig.

Wie stark seine ablehnende Haltung Deutschland gegenüber war, verdeutlichen auch seine im Konkret-Verlag publizierten Bücher. „Die Spaltung Deutschlands war die größte historische Leistung der SED und bescherte Eu­ropa eine fünfzigjährige Ruhe vor dem furor teutonicus“, schreibt Elsässer in der Konkret-Broschüre „Vorwärts und vergessen?“, die er 1996 gemeinsam mit der Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht publizierte.Weiter schreibt er dort: „Die psychischen Voraussetzungen sind das Ensemble derjenigen Eigenschaften, die sich zum Gesamtbild des ‘häßlichen Deutschen’ zusammenfügen: Obrigkeitshörigkeit, Staatsvergottung, Disziplin, Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnungswahn, kurz all die Sekundärtugenden, von denen Oskar Lafontaine in seinen besseren Jahren zu Recht behauptete, daß man mit ihnen sehr gut ein KZ führen könne.“

Selbst der Antifaschismus der DDR ging ihm nicht weit genug. „Die DDR praktizierte also nicht zuviel Antifaschismus, wie das dumme Schlagwort vom ‘verordneten Antifaschismus’ glauben machen will, sondern zuwenig.“ Er hoffte, daß die Briten ein wiedervereinigtes Deutschland in Schach halten würden und lobte Bomber-Harris. Jenen britischen Offizier, der im Zweiten Weltkrieg als Oberbefehlshaber der britischen Bomberflotte die Flächenbombardements auf deutsche Städte angeordnet hatte. „Im Februar werden wir einen Toast auf Sir Arthur Harris ausbringen, dessen Luftflotte den sowjetischen Panzern ihren Vormarsch nach Berlin freibombten“, schrieb er 1995 im Vorwort seines ebenfalls im Konkret-Verlag herausgegebenen Buches „Wenn das der Führer hätte erleben dürfen – 29 Glückwünsche zum deutschen Sieg über die Alliierten“. Weiter führt er dort aus: „Und am 8. Mai würden wir uns gerne von Spezialisten des Mossad zeigen lassen, wie man deutsche Tornados sprengt.“ Zur Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 schreibt er anläßlich des fünfzigsten Jahrestags 1994 in Konkret: „Wenn wir daher am 6. Juni auf etwas anstoßen, dann nicht auf die ‘Befreiung Deutschlands’, sondern auf die Pläne zu seiner Auflösung, die an jenem Tag im Jahre 44 noch in voller Blüte standen.“

Nach wie vor Sympathie für kommunistische Diktaturen

Während Elsässer heute mit Familienkongressen wirbt, auf denen Referenten Stellung gegen die Homo-Ehe beziehen, lobte er unter Bezugnahme auf den DDR-Sexualwissenschaftler Kurt Starke in den neunziger Jahren noch die sexuelle Freizügigkeit der DDR gegenüber der Bundesrepublik. „Bei der Erklärung dieser Unterschiede verweist Starke auf eine größere rechtliche Liberalität in der DDR, die im Unterschied zur Bundesrepublik die Paragraphen 175 und 218 abgeschafft und damit sexuellen Ängsten den juristischen Hintergrund genommen hatte.“

Die Familie bezeichnete Elsässer mit Verweis auf ein Zitat des marxistischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich als „Charakterpest“. Das Dreieck Vater-Mutter-Kind produziere „in jeder Gesellschaftsform Autoritätshörigkeit“. Es brauche zwar verbindliche und personale Strukturen für die Erziehung. „Aber warum die heterosexuelle Kleinfamilie? Warum keine Kommune? Kein lesbisches oder homosexuelles Paar?“ fragte Elsässer und stellte für sich fest: „In der Hölle der Kleinfamilie können die Heranwachsenden keine Ich-Stärke ausbilden. Deswegen ist Politik zur Bewahrung der patriarchalischen Familie immer konterrevolutionär.“

Seinen Bruch mit der Linken erklärte er Compact-Anhängern auf einer Schiffsfahrt am 11. September dieses Jahres in Koblenz so: „Das entscheidende Ereignis war für mich der 11. September 2001. Das war mein Erweckungserlebnis.“ Bis dahin sei er ein „uniformer Linker“ gewesen. Und danach? Noch 2006 plädiert er in dem von Hans Modrow und Ulrich Maurer herausgegebenen Buch „Links oder lahm“ dafür, daß die Linke wie in Venezuela mit Hilfe von Plebisziten das Tor zum Sozialismus aufstoßen solle.

Auch für linksextreme Zeitungen ist er zum damaligen Zeitpunkt noch tätig. Zwar trennte sich Jungle World ebenso wie Konkret 2002 von ihm wegen seiner Ablehnung des Irak-Krieges. Dennoch schreibt er zunächst weiter für die Junge Welt und den Freitag. Ab 2008 arbeitet Elsässer als angestellter Redakteur für das einstige SED-Organ Neues Deutschland, ehe er im Januar 2009 gemeinsam mit Peter Feist, einem Neffen Margot Honeckers, und dreißig „ausschließlich Linken“ die Volksinitiative gegen das Finanzkapital gründet. Eine Initiative, in die er nun auch Rechte einbeziehen möchte.

„Anders als bei ähnlichen Anlässen werden Experten aus verschiedenen politischen Richtungen gemeinsam auftreten“, heißt es etwa in einer Presseerklärung des Compact-Verlegers Kai Homilius. Ein Vorhaben, das innerhalb der Linken überwiegend auf Ablehnung stößt und dazu führt, daß sich auch der Freitag, das Neue Deutschland und die Junge Welt von Elsässer trennen. Doch auch noch im Mai 2009 erklärt Elsässer in einem Interview mit dem Horizonte-Magazin, das ihn zur Volksinitiative befragte: „Ich sehe darin keinen totalen Umschlag der Gesinnung.“ Ein Jahr später erscheint Compact. Das Magazin will ebenfalls Linke und Rechte zusammenbringen, die sich in der Ablehnung des Westens, der Nato und der USA einig sind.

Darauf, daß er trotz seiner heute positiven Einstellung zum Nationalstaat noch immer mit kommunistischen Machthabern sympathisiert, deutet ein weiterer Eintrag auf seinem Internetblog aus dem Jahr 2012 hin. So schreibt er dort: „Hoch lebe Ho Chi Minh und das vietnamesische Volk. Hoch lebe Hisbollah. Mögen Syrien, Iran, Rußland, Venezuela, Kuba und China das Pulver trocken halten. No pasaran! Pasaremos!“ An anderer Stelle auf dem Blog äußert er in bezug auf chinesische Soldatinnen: „Lang lebe die New Model Army des Genossen Mao Tse-tung! Eure weißen Lackstiefel werden den Yankee-Imperialismus in den Staub der Geschichte treten!“

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe: Jürgen Elsässers Kontakte zu russischen Institutionen und islamistischen Kreisen.

 

Antideutsche

Die sogenannten „Antideutschen“ unterscheiden sich von anderen Gruppierungen innerhalb der extremen Linken (vor allem den „Antiimperialisten“) dadurch, daß sie nicht Nation und Staat als Konstrukte bürgerlicher Herrschaft grundsätzlich ablehnen, sondern sich zum israelischen Staat uneingeschränkt solidarisch erklären. Den Deutschen unterstellen sie Antisemitismus. Im „Kampf gegen die zivilisationsfeindlichen Kräfte des fundamentalistischen Islamismus“ unterstützen sie sogar die USA. Dieser Widerspruch zur Mehrheit in der linksextremen Szene hat dort zu Spaltungen geführt.

Foto: Jürgen Elsässer, Publizist mit wechselnden Vorzeichen: Wo Rauch ist, brennt auch Feuer. Oder muß der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer nur immer mal wieder Dampf ablassen?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen