© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Herr Montag fragt nach
Marcus Schmidt

Thomas R. wurde nur 39 Jahre alt. Anfang April fanden zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes den Mann tot in seiner Wohnung. Die Obduktion ergab als Todesursache eine unerkannte Diabetes. Zum Zeitpunkt seines Todes lebte er in einem Zeugenschutzprogramm. Denn R. hatte dem Bundesamt für Verfassungsschutz jahrelang unter dem Decknamen „Corelli“ als V-Mann aus der rechtsextremistischen Szene berichtet. Mittlerweile beschäftigt der Tod des V-Mannes den Bundestag, genauer das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr). Denn „Corelli“ soll Kontakt zum NSU gehabt haben. Ein Umstand, der gerade mit Blick auf den plötzlichen Tod „Corellis“ reichlich Raum für Spekulationen läßt.

Auch aus diesem Grund hat das PKGr, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, in der vergangenen Woche in der V-Mann-Affäre einen Sonderermittler eingesetzt. Der frühere Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag (Grüne) soll im Auftrag des Gremiums offene Fragen im Zusammenhang mit „Corelli“ aufklären. Dazu gehören laut dem Untersuchungsauftrag ausdrücklich auch Ermittlungen zur Todesursache.

Für die Geheimdienstkontrolleure ist der Fall des V-Mannes R. auch aus einem ganz anderen Grund von Interesse. Anfang des Jahres war beim Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz eine CD mit der Bezeichnung NSU/NSDAP aufgetaucht. An der Herstellung des Datenträgers aus dem Jahre 2006 soll „Corelli“ beteiligt gewesen sein. Zu einer Zeit also, als das Kürzel „NSU“ der Öffentlichkeit noch unbekannt war. Wußte der V-Mann mehr über Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als bisher bekannt? Und was berichtete er davon dem Verfassungsschutz? Dem Untersuchungsausschuß sei immer erzählt worden, das Kürzel „NSU“ sei bis zum Auffliegen des Terrortrios 2011 in der rechtsextremistischen Szene nicht bekannt gewesen, berichtete der Vorsitzende des PKGr, Clemens Binninger (CDU). „Das stellt sich jetzt etwas anders dar“, sagte er mit Blick auf die CD.

Bis Mai 2015 soll Jerzy Montag dem Gremium seinen Abschlußbericht vorlegen. Für seine Arbeit wurde er mit weitreichenden Rechten ausgestattet. Dennoch wird Montag darauf angewiesen sein, daß die betreffenden Behörden mit ihm zusammenarbeiten. Er hofft nicht nur auf offene Türen, sondern auch auf offene Tresore, sagte er. Je nachdem was Montag zutage fördert, könnte sein Bericht ein Baustein für einen neuen NSU-Untersuchungsausschuß bilden. Längst hat sich im Innenausschuß wieder eine Runde von Berichterstattern zum Thema gebildet. Ihr gehören neben Binninger die frühere SPD-Obfrau im NSU-Ausschuß, Eva Högl, ihre Linkspartei-Kollegin Petra Pau sowie Irene Mihalic (Grüne) an. „Wir wissen beim NSU noch lange nicht hundert Prozent der Dinge“, sagte Binninger in der vergangenen Woche.

Ob Montag tatsächlich die offenen Fragen im Fall „Corelli“ klären kann, erscheint jedoch zweifelhaft. Dem Grünen-Politiker stehen für seine Arbeit lediglich ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und eine Sekretärin zur Verfügung.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen