© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Der Krieg klopft an die Tür
Sicherheitspolitik: Eine Tagung des Studienzentrums Weikersheim beleuchtet die Folgen der Ukraine-Krise
Taras Maygutiak

Wie sind Krisen, Kriege und Konflikte weltweit einzuordnen? Wie verändert sich das Machtgefüge der Großmächte und mit welchen Herausforderungen und Problemen haben sich die deutsche Sicherheitspolitik und die Bundeswehr in diesem globalen Spiel auseinanderzusetzen? Bei der sicherheitspolitischen Tagung, die das Studienzentrum Weikersheim jedes Jahr Anfang November in Tübingen veranstaltet, wurde in diesem Jahr über die gesamte Bandbreite von globaler Sicherheitspolitik bis hin zu den Schwierigkeiten der Bundeswehr, nach Abschaffung der Wehrpflicht Nachwuchs zu rekrutieren, diskutiert.

Zum Thema „Globale, regionale und nationale Konflikte“ referierte Brigadegeneral a.D. Dieter Farwick. „Die Welt ist in Unordnung geraten. Über mehrere Stationen hat sich eine globale Anarchie entwickelt, in der es keine Macht mehr gibt, die global ihren Willen gegen den Willen des betroffenen Landes durchsetzen kann“, zeichnete General Farwick das Bild der derzeitigen globalen Lage. Trotz relativer Machtverluste seien die Vereinigten Staaten eine „unverzichtbare Weltmacht geblieben“, so Farwick: „Die Global Player sind China, Indien und die USA, wobei Indien noch in diese Rolle hineinwachsen wird.“ China habe auf dem Apec-Gipfel seine Stärke gezeigt, resümierte er. Der Weg an die Spitze habe aber „große Stolpersteine“, lautete Farwicks Einschätzung:

Er verwies auf den Spagat, den China vollziehe zwischen Kommunistischer Partei, Marktwirtschaft, Korruption, Rechtsunsicherheit, den Folgen der Ein-Kind-Politik, der Kluft zwischen Arm und Reich, der Kluft zwischen Land- und Stadtbevölkerung sowie angesichts der ungeheuren Umweltzerstörungen.

Folgen der Euro-Krise schlagen durch

„Die Brics-Staaten, die 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, haben an Glanz und Einfluß verloren“, ist sich Farwick sicher. Durch den Konflikt in und um die Ukraine habe sich der wirtschaftliche Niedergang Rußlands beschleunigt. „Brasilien hat das Wirtschaftswunder bereits hinter sich. Südafrika leidet unter internen Problemen“, so der General. Globale Risiken sieht er durch Migration, Terrorismus, Cyber-Attacken durch Staaten und private Unternehmen, Pandemien, Versagen der Vereinten Nationen, gescheiterte Staaten sowie die Verletzung territorialer Integrität. Und wo stehen da Deutschland und Europa? „Europa ist gespalten: die Eurozone kann in der derzeitigen Struktur nicht überleben. Die gemeinsame Währung verhindert flexibles Handeln der Mitgliedsstaaten“, analysierte Farwick. Das größte Sorgenkind sei dabei Frankreich, gefolgt von Italien. „Die sogenannte Euro-Krise hat spürbare Folgen für die Sicherheitspolitik“, stellte der General fest. Für Farwick ist „die aggressive Politik Putin-Rußlands“ eine Bedrohung für Deutschland und Europa. Die Nato bleibe dabei für Deutschland das Sicherheitsbündnis Nummer eins, betonte er.

Doch er machte keinen Hehl daraus, daß es um das Bündnis nicht sonderlich gut steht: In den vergangenen Jahren sei die Nato wegen der zu geringen Verteidigungsausgaben und der drastischen Truppenreduzierungen zu einer „Koalition der Willigen und Fähigen“ degeneriert, urteilte er. Und dabei ist es auch um die Bundeswehr nicht gut bestellt.

„Das Heer hat Nachwuchsprobleme“

„Die derzeitige Krise der Bundeswehr – Sinnkrise und Materialkrise – muß überwunden werden“, mahnte Farwick. Die derzeitige politische und militärische Führung des Verteidigungsministeriums sei überfordert. Deutschland brauche einen „Nationalen Sicherheitsberater“ im Kanzleramt, der im Auftrag des „Chefs“ eine langfristig angelegte Gesamtstrategie für äußere und innere Sicherheit entwickle, forderte Farwick. Vorausgesetzt, Politik und Bundeswehr machten sich daran, alles wieder ins Lot zu bringen, dürfte es dennoch ein steiniger Weg sein.

Viel Raum nahm der Vortrag „Die Bundeswehr in Afghanistan“ des aktiven Hauptmanns Marcel Bohnert, der an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrt, ein. Dabei führte der 35 Jahre alte Bohnert den Teilnehmern der sicherheitspolitischen Tagung Alltag und Wirklichkeit in der Truppe vor Augen. Er war mehrere Male in Auslandseinsätzen, zuletzt vor drei Jahren in Afghanistan. Er zeigte mehrere Probleme auf, mit denen die Bundeswehr zurechtkommen muß. „Das deutsche Heer hat Nachwuchsprobleme“, sagte Bohnert. Heute werde jeder, der sich melde, aufgenommen.

Einig war man sich in Tübingen, daß das auch auf die Aussetzung der Wehrpflicht zurückzuführen ist. Die Gleichgültigkeit der deutschen Gesellschaft gegenüber den Soldaten, insbesondere im Einsatz, macht diesen viel zu schaffen, war einer der Punkte die angesprochen wurden. Genauso: Die Politik fordere, Deutschland müsse seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden, gleichzeitig werde von der Führung intern immer die Maßgabe „keine toten Soldaten“ vertreten. Verantwortung ohne Risiko zu übernehmen, funktioniere in der Realität nicht, war der Tenor des einsatzerfahrenen Offiziers. Er beobachtet in der „Generation Einsatz“ in der Bundeswehr einen zunehmenden Vertrauensverlust in die politische und militärische Führung. In „höheren Ebenen“ sei das „Karriere- und Absicherungsdenken stark“ ausgeprägt, kritisierte Bohnert. Vom Bundestag wünsche er sich, daß dieser eine kritische Bilanzierung des Afghanistan-Einsatzes vornehme.

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