© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Es muß Tabus geben
Sterbehilfe: Die Debatte rührt an die Grundfesten einer humanen Gesellschaft
Jürgen Liminski

Es ist ein Thema für alternde Gesellschaften: In Afrika, Asien, Amerika gibt es keine Debatte über Sterbehilfe, in den jungen Staaten Europas auch nicht. Altwerden kostet Geld, die Pflege im Alter noch mehr. Die höchsten und meisten Kosten für die Krankenkassen fallen nicht bei den jüngeren Familien, sondern bei den Mitgliedern über sechzig an.

Das sind nur ein paar Rahmendaten, die zeigen, woher Druck auf die Sterbedebatte kommt. Der Druck wird zunehmen, wenn die Konjunktur weiter abflaut oder gar einbricht, die Sozialkassen sich leeren und die Wirtschafts-und Pharmalobbys die Politik bearbeiten. Im Bundestag war davon freilich nicht die Rede. Man erging sich in philosophischen Tönen, die beim Thema Tod sicher auch angebracht sind. Aber es wäre eben auch gut gewesen, mal deutlicher auf den ökonomischen Druck hinter den Kulissen hinzuweisen.

Das meistgebrauchte Schlüsselwort der Debatte war Würde. Zu ihr gehöre die Selbstbestimmung. Daraus formen die Befürworter der aktiven Sterbehilfe eine Art Imperativ des autonomen Gewissens zum selbstbestimmten Töten. Das klingt nicht schlecht, ist aber ziemlich kurz gedacht. Es gibt keine wirkliche Autonomie. Sie wird schon im alltäglichen Leben meist von ökonomischen Sachzwängen ausgehebelt. Immer ist der Mensch konditioniert. Mehr noch: Die grundlegenden und wichtigsten Dinge werden ihm geschenkt: das Leben, die Liebe, die Zeit. Und in gewissem Sinn auch die Gesundheit, wiewohl man dazu auch selber beitragen kann.

Auch die Würde ist ein Geschenk. Denn sie wurzelt im Menschen, weil er Person ist. Deshalb ist sie unantastbar, und das Leben unverfügbar. Der Religionsphilosoph Romano Guardini (1885–1968) sagte, diese Personhaftigkeit des Menschen „ist nicht psychologischer, sondern existentieller Natur. Grundsätzlich hängt sie weder am Alter noch am körperlich-seelischen Zustand, noch an der Begabung, sondern an der geistigen Seele, die in jedem Menschen ist. Die Personalität kann unbewußt sein, wie beim Schlafenden; trotzdem ist sie da und muß geachtet werden. Sie kann unentfaltet sein wie beim Kinde; trotzdem beansprucht sie bereits den sittlichen Schutz. Es ist sogar möglich, daß sie überhaupt nicht in den Akt tritt, weil die physisch-psychischen Voraussetzungen dafür fehlen wie beim Geisteskranken oder Idioten. Dadurch aber unterscheidet sich der gesittete Mensch vom Barbaren, daß er sie auch in dieser Verhüllung achtet. Diese Personalität gibt dem Menschen seine Würde.“

Diese Personhaftigkeit, von der im Bundestag leider nicht die Rede war, gründet nach christlicher Auffassung wiederum im Status des Menschen als Geschöpf. Der Schöpfer selbst ist, so der Münsteraner Philosoph Josef Pieper, „in seiner Absolutheit der letzte Grund für die Unantastbarkeit“ der menschlichen Würde. Deshalb ist Gott selbst der prinzipielle Garant für die Unantastbarkeit auch am Ende des Lebens. So weit ging die Debatte nicht. Muß sie auch nicht – wenn den Christen unter den Abgeordneten nur klar wäre, was hier mit der Sterbehilfe-Debatte letztlich auf dem Spiel steht: nichts weniger als eine humane Gesellschaft!

CDU-Politiker wie Peter Hintze dagegen hantieren gern mit Beispielen von unheilbar Kranken, um sie als Kronzeugen für angeblich gutes Töten ins Feld zu führen. Abgesehen davon, daß es „kein gutes Töten gibt“ (Robert Spaemann), lassen sich auch Gegenbeispiele anführen, etwa Walter Jens, der als gesunder Mann noch verfügte, man solle ihn töten, wenn er einmal nicht mehr schreiben und reden könne, als dementer Kranker aber sich verzweifelt dagegen wehrte. So geht es vielen. Das Einzelbeispiel taugt nicht für prinzipielle Erwägungen und Entscheidungen. Insofern kann man den Abgeordneten dankbar sein, daß sie sich mehrheitlich gegen die aktive Sterbehilfe ausgesprochen haben. Es muß Tabus geben in einer humanen Gesellschaft, sonst wächst nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der soziale Druck auf Alte und Kranke.

Die Würde ist so ein Tabu. Sie garantiert das Humanum. Guardini wies auf die Gefahr des „unmenschlichen“ oder des „nicht-humanen Menschen“ hin. Er sah die „Unmenschlichkeit des Menschen“ in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vergessen Gottes und der Anwendung einer nahezu gebieterischen, aber auch irreführenden Technologie. Werde sie, die Würde, „in Frage gestellt, gleitet alles in die Barbarei“.

Was also tun? Zunächst die Mitwirkung an der Selbsttötung verbieten. Es darf keine Hilfe oder Mitwirkung beim Suizid geben. Dazu reicht ein Satz in einem novellierten Paragraph 216 des Strafgesetzbuchs. Es muß Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten geben. Ohne das laufen wir Gefahr, auf schiefe Ebenen zu geraten wie in Belgien oder in den Niederlanden, wo die Indikationen für Tötung auf Verlangen bereits Kinder und psychisch Kranke erfassen.

Und warum nicht, wie es in Österreich diskutiert wird, das Verbot der aktiven Sterbehilfe im Grundgesetz verankern? Sodann, und das nicht zu knapp, sollten die Palliativmedizin sowie die Hospize gefördert werden. Und es sollte, solange die Debatte läuft, die Gelegenheit genutzt werden, ein Umdenken herbeizuführen. Nicht Sterbebegleitung sollte es heißen, sondern Begleitung am Ende des Lebens. Das ist keine Spitzfindigkeit. Es geht um ein Leben in Würde – immer, übrigens auch ganz am Anfang, bei der Entstehung des Lebens und der anschließenden Schwangerschaft.

Würde ist keine Frage der physischen Form. Hier gibt es für eine alternde Gesellschaft, die human bleiben will und ein demographisches Problem hat, noch viel zu tun.

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