© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Für Hartgesottene
Es muß nicht gleich die Beringstraße sein: Die Schwimmprüfung für Todesmutige ist zurück
Bernd Rademacher

In einer Zeit, als Schwimmbäder noch „Badeanstalt“ hießen und selbst ältere Jungs vor dem „Bademeister“ Respekt hatten („Du da! Hier wird nicht vom Beckenrand gesprungen!!“), trugen wir Grundschüler voller Stolz die Abzeichen unserer Schwimmprüfungen, die unsere Mütter uns auf die Badehose genäht hatte. Mein Kumpel und ich fühlten uns zwei Köpfe größer, als wir den „Jugend-Schwimmschein“ bestanden hatten und zum ersten Mal mit dem Abzeichen mit den drei Wellen auf der Hose den Duschraum betraten.

Doch dann ging die Tür auf und unser Ego platzte wie eine Seifenblase: Ein Großer, der bestimmt schon Moped fahren durfte, trug ein rundes Stoffab­zeichen mit einem schwarzen Totenkopf! Um diese martialische Auszeichnung zu bekommen, mußte man zwei Stunden ununterbrochen schwimmen. Eins war klar: Wer damit das Bad betrat, degradierte die anderen zu Planschbeckenschwimmern! Wäre das Wort Coolness damals (Ende der Siebziger) schon erfunden gewesen, das Totenkopf-Schwimmabzeichen wäre sein Inbegriff gewesen.

Unterkühlungen soll es schon gegeben haben

In späteren Jahren verschwand der Schädel mit den gekreuzten Gebeinen von den Badehosen. Es soll angeblich bei Prüfungen zu Unterkühlungsunfällen gekommen sein, vermutlich auch, weil zumindest Freibäder damals nur selten beheizt waren. Die DLRG untersagte ihren Rettungsschwimmern den „Totenkopf“, und die Bundeswehr nahm die Prüfung ohne das Abzeichen ab, weil die Etappenhengste wegen des Symbols wohl falsche Assoziationen fürchteten.

Doch nun ist „der Totenkopp“ zurück und wird zum Retro-Kult. Ein städtisches Schwimmbad im Emsland nimmt die Prüfung zweimal jährlich wieder ab – und zu den Terminen reisen Enthusiasten und Hartgesottene teils von weither an.

„Die Leute trainieren lange darauf hin“

Das Schwimmbad der Stadtwerke Rheine veranstaltete bereits vor zehn Jahren die Totenkopf-Schwimmprüfung als einmaliges Event im Rahmen der Ferienprogramme. Die Nachfrage war überraschend so groß, daß die Sonderveranstaltung nun zweimal im Jahr stattfindet. Auch 2015 kann man wieder „den Totenkopf machen“, ist Volker Nöhring von den Bäderbetrieben der Stadt Rheine sicher. „Die Sache ist Kult. Die Leute trainieren lange darauf hin. Manche fahren dafür Hunderte Kilometer. Meines Wissens sind wir das einzige Bad in Deutschland, das dieses Abzeichen noch abnimmt“, sagte Nöhring der JUNGEN FREIHEIT.

Wer sich rechtzeitig anmeldet, bekommt eine Startzeit zwischen 11 und 17 Uhr zugeteilt. Spontane Letzte-Minute-Kandidaten können sich sogar noch am Veranstaltungstag registrieren. Jeder Starter wird von einem Rettungsschwimmer begleitet, der notfalls eingreift. Nöhring stellt klar: „Wenn einer erkennbar schwächelt, brechen wir ab.“

Zwei Stunden im Wasser schafft keiner im Kaltstart. Die Rettungsschwimmer am Rand zählen auch die Bahnen. Dabei schreibt das Reglement nicht vor, daß man permanent schwimmt, es reicht, sich über Wasser zu halten, ohne den Beckenrand zu berühren. „Wir peppen das Ganze noch ein bißchen auf und vermerken auch die geschwommenen Kilometer auf der Urkunde.“

Heute kann man den Totenkopf in drei Klassen erwerben: Bronze für 60, Silber für 90 und Gold für 120 Minuten. Von den 45 Teilnehmern im Vorjahr erhielten 30 Bronze, sechs Silber und neun Gold. Das Schädel-Motiv auf dem kreisrunden Aufnäher ist allerdings noch authentisch und unverändert.

Besonders beliebt ist die Hardcore-Schwimmprüfung bei den Soldaten, die in der Garnisonsstadt Rheine stationiert sind. Doch auch bemerkenswert viele Frauen sind unter den erfolgreichen Dauerschwimmern – schließlich war es die Amerikanerin Lynne Cox, die als erster Mensch die bibberkalte Beringstraße durchschwamm und dafür noch fünf Minuten länger als für Gold brauchte . Und selbst Kinder ergattern das begehrte Abzeichen, mit dem sie auch heute wieder der King im Schwimmbad sind. Die Wintermonate eignen sich da ganz hervorragend zum Training!

Foto: Das Goldene Totenkopf-Abzeichen und ein Sieger stolz wie Oskar: Inbegriff der Coolness

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen