© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

„Fahrverbot für freie Bürger“
Linksgrüne Zwangswirtschaft? „Neue Freiheiten“ durch ökokratisch verordneten nachhaltigen Lebensstil
Christoph Keller

Um den Kohleverbrauch zu drosseln und dem lebensbedrohlichen Smog in den Großstädten zu begegnen, um mit verseuchten Böden und verdreckten Flüssen fertig zu werden, hat die kommunistische Staatsführung Chinas seit 2013 eine Reihe von drastischen umweltpolitischen Maßnahmen ergriffen. Diese lassen Kritiker von einer offenbar erfolgreichen „grünen Revolution“ schwärmen (JF 42/14).

Für den linken Publizisten Bernhard Pötter beweist der radikale Kurswechsel der Pekinger „roten Ökodiktatur“, daß ein nichtdemokratischer Staat flexibler auf die „multiple globale Krise“ von Klimawandel, Umweltzerstörung, Ressourcenverknappung und Armut reagieren könne als die liberalen Demokratien des Westens. Im EU-Raum, weniger in Nordamerika, stehe der Kampf zur „Rettung des Planeten“ zwar seit über zwei Jahrzehnten ganz oben auf der politischen Agenda; doch weder habe man sich in Brüssel auf eine nachhaltige Energiepolitik einigen können, noch gebe es konkrete Vorstellungen, wie „grünes Wachstum dem krisengeschüttelten Kontinent“ aufhelfen könne. Schon gar nicht werde genug getan, um das Aussterben von Pflanzen und Tieren aufzuhalten. Die USA, „der größte Verfechter von Demokratie und Marktwirtschaft“, seien ohnehin weltweit führend bei der Zerstörung des Planeten.

Mega-Behörde regiert in Nationalstaaten hinein

Der Naturverbrauch, so bilanziert Pötter, sei also weiterhin dort am höchsten, wo entwickelte demokratische Strukturen herrschen, in den Industrie­ländern also. Was nur daran liegen könne, daß – im Unterschied zum autokratischen China – das demokratische System „in seiner aktuellen Verfassung“ an der Umweltkrise scheitere (Politische Ökologie 138/2014).

Trotzdem empfiehlt Pötter den chinesischen Weg nicht zur Nachahmung. Aber, so beharrt er auf seiner 2010 in Buchform präsentierten „Ökodiktatur“-Vision, ein Umbau der Demokratie zumindest in Richtung „Ökokratie“ sei unabdingbar. Denn anders lasse sich die Verkettung der Demokratie mit dem nicht mehr zukunftsfähigen, weil die Hilfsquellen der Erde verschleudernden kapitalistischen Wirtschaftssystem, das ohne Korrektur die demokratischen Gesellschaften mit in den Untergang reißen werde, nicht mehr aufbrechen.

Für den EU-Raum erfordere diese ökologische Zähmung des Kapitalismus nach Pötters Rezeptur sogar nur minimal­invasive Operationen. Herzstück sei ein zweiter Vertrag von Maastricht. Der solle „ökologische Stabilitätskriterien“ festlegen, orientiert an vier „physischen Leitplanken“: keine Erwärmung der globalen Atmosphäre über zwei Grad Celsius, Sicherung des Ackerbodens und der verbliebenen Artenvielfalt, Schutz der Ozeane, Eingrenzung von Chemie- und Nuklearrisiken.

Ferner müsse eine „Zukunftsbank Europa“ (ZBE) entstehen, an die die Mitgliedstaaten Souveränität beim Klima- und Artenschutz abtreten. Die ZBE, mehr als nur eine Bank, wache über die Einhaltung von „Maastricht II“, beeinflusse und regele mittels Vergabe oder Entzug von Agrar-, Verkehrs-, Umwelt- und Industriesubventionen die nationalen Politiken. Eine Praxis, die lediglich den bereits etablierten Brüsseler Interventionismus ökologisch forciert – für Pötter als Linken völlig akzeptabel.

Akzeptanzprobleme dürfte die Ökokratie nicht aufwerfen, ist sich Pötter sicher. Denn die Erkenntnis, daß es so nicht weitergehen könne, sei erfreulich weit verbreitet. „Selbstverständlich bringt Rücksicht auf die Zukunft auch Einschränkungen mit sich. Doch das Wesen der Demokratie ist eben die Einschränkung.“

Ebenso sei das ökologische Basiswissen weit verbreitet, daß mit jeder zusätzlichen Tonne CO2, jeder ausgestorbenen Pflanzenart und jedem Quadratmeter verlorenen Ackerbodens sich unsere Entwicklungschancen reduzierten. „Fahrverbot für freie Bürger“ wäre darum eine richtige Losung.

Zudem verspreche der ökokratisch verordnete nachhaltige Lebensstil neue Freiheiten: für die kommende Generation die Freiheit von den Zwängen fossiler Energiewirtschaft, vor allem aber die Freiheit von nationalen und internationalen Konflikten, die dann verstärkt auf uns zukämen, wenn westliches Wirtschaften weiter die Lebensräume der „Dritten Welt“ schrumpf oder zerstöre. Im internationalen Wettbewerb der Systeme werde Europas Ökokratie daher sicher mit den Herausforderungen von Klimawandel und Umweltkrise besser fertig als „der ungezügelte Kapitalismus aus den USA“, Rußlands „autoritärer Rohstoffkapitalismus“ oder eben Chinas grün gewendeter „Staatssozialismus“.

Foto: Polizistenfigur mit „Halt, rechts ran“-Geste und Umweltplakette 2: Eine Öko-Verbotskultur dürfte breit akzeptiert werden

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen