© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

„Ehrenbürger der Nation“
Nils Löffelbeins kritische Studie über die Kriegsopferversorgung der Weltkriegsveteranen in der NS-Zeit
Hans-Joachim von Leesen

Die Geschichte der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV), die im Juni 1933 aus dem „Hauptamt für Kriegsopfer“ in der NSDAP-Reichsleitung hervorging und sich bis 1939 mit 1,5 Millionen Mitgliedern zu einer nationalsozialistischen Großorganisation entwickelte, gehörte bisher noch nicht anhand von Dissertationen zu den hell ausgeleuchteten Bereichen des Nationalsozialismus. Nils Löffelbein, Doktorand beim Düsseldorfer Historiker Gerd Krumeich, hat sich 2013 des Themas angenommen, dabei allerdings nur einen Teilausschnitt der Tätigkeit der NSKOV behandelt.

Obgleich die vordringlichen Aufgaben dieser Veteranen- und Invalidenorganisation Wohlfahrt, Versorgungsfragen und Einflußnahme auf die entsprechende Gesetzgebung waren, ließ er sich darauf „nicht detailliert ein“, wie er schreibt, ohne diese Enthaltsamkeit zu begründen, sondern legte das Schwergewicht seiner Forschungsarbeit auf die Darlegung, daß die organisierten Kriegsbeschädigten der NSKOV vor allem im Sinne hatten, die mentalen Vorbereitungen zu einem neuen Krieg zu schaffen, um ihren Leiden nachträglich einen Sinn zu geben.

Verbitterung der Veteranen über ihr Los nach 1918

Nach dem Ersten Weltkrieg bildeten die 2,3 Millionen schwer kriegsbeschädigten deutschen Soldaten sozialen Sprengstoff. Nach jahrelangen Strapazen an der Front mußten sie erleben, daß ihre mehr und weniger schweren körperlichen, aber auch seelischen Versehrungen nicht nur vergebens gewesen zu sein schienen. Das Gefühl, von denen, die nach 1918 in Deutschland in Politik und Medien das Wort führten, mißachtet oder sogar diffamiert zu werden, vergrößerte ihren Frust.

Zwar hatten fast alle größeren Parteien die Kriegsbeschädigten unter ihren Mitgliedern organisiert, doch ging es dabei in der Regel lediglich um die Durchsetzung von Versorgungsansprüchen für die „Kriegskrüppel“, nicht aber um die gesellschaftliche Würdigung ihrer Leistungen an der Front. Die offene Distanzierung vieler pazifistischer Kräfte von „14/18“, vor allem bei der politischen Linken der Weimarer Republik, verstanden viele Kriegsbeschädigte gleichzeitig als Ausgrenzung ihres Leids. Zwar sprach man noch vom „Dank des Vaterlandes“, doch empfanden das die alten Soldaten häufig genug als hohle Phrase, und dieser schmerzhafte Eindruck verstärkte sich bei ihnen, wenn sie ihren Blick über die Grenze nach Frankreich oder Großbritannien richteten, wo die Regierung den Verwundeten des Großen Krieges mit Anerkennung begegnete, ihre Opfer anerkannte.

Als der Weimarer Staat durch die Weltwirtschaftskrise in eine extreme Notlage geriet, mußte er die ohnehin geringen Renten der Kriegsbeschädigten kürzen, wodurch viele der Veteranen im wahrsten Sinne des Wortes zu Bettlern wurden. Ihre Verbitterung stieg.

Die Nationalsozialisten konnten zwar auch nicht sofort die materielle Lage der Kriegsbeschädigten wesentlich verbessern, doch bekundeten sie eine andere Haltung zu den verwundeten Frontsoldaten. Diese hätten sich im Kriege für ihr Vaterland geopfert und verdienten somit nicht eine „Rente“, sondern einen „Ehrensold“. Hitler und viele hohe NS-Parteigenossen waren selbst im Weltkrieg verwundet worden, viele verstanden sich als die Vertreter der Frontgeneration. In ihren Augen waren die Kriegsbeschädigten „Ehrenbürger der Nation“.

So ließen sich die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme 1933 zahlreiche Maßnahmen einfallen, um den Kriegsbeschädigten die gesellschaftliche Anerkennung zuteil werden zu lassen, die ihnen nach ihrer Ansicht gebührte. Nils Löffelbein schreibt, daß „Kriegsopferfragen im Dritten Reich tatsächlich einen politischen Bedeutungszuwachs und eine öffentliche Repräsentanz“ erfuhren, „wie sie während der Weimarer Zeit nicht denkbar gewesen wäre“.

Bei öffentlichen Veranstaltungen hatten die Kriegsversehrten Anspruch auf Ehrenplätze, sie konnten in Theatern, Konzerten, Kinos Preisnachlässe in Anspruch nehmen, in öffentlichen Verkehrsmitteln wurden ihnen Vergünstigungen eingeräumt. 1934 schuf der Staat ein „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“, um die Leistungen der alten Soldaten anzuerkennen.

Aber auch materielle Vergünstigungen zählt Löffelbein auf: 400.000 Arbeitsplätze für Kriegsbeschädigte wurden geschaffen, 10.000 Wohnungen wurden mit Hilfe von Reichsdarlehen errichtet, 355.000 Siedlungsstellen für Kriegsbeschädigte organisiert. Hinter diesen Maßnahmen steckte die NSKOV, die, wie Löffelbein meint, nichts anderes im Sinn hatte, als das Ansehen der Soldaten zu erhöhen und die Wehrfreudigkeit der Deutschen wieder zu stärken. Letzteres, um eines Tages mit einem großen Krieg die Welt zu erobern, was Löffelbein nicht näher belegt, denn das „weiß doch heute jeder“. Volkspädagogische Plattheiten dieser Art mindern leider immer wieder die Wissenschaftlichkeit des ansonsten außerordentlich materialreichen Werkes.

Aussöhnung mit Ex-Feinden als bloße Taktik gedeutet

Besonders teuflisch dürften die Täuschungsmethoden zu bewerten sein, die hinter den internationalen Aktivitäten der NSKOV steckten. Sehr bald nach 1933 nahm der Verband Verbindung zu ähnlichen Organisationen der ehemaligen Kriegsgegner auf. Er lud zu gegenseitigen Besuchen ein, die im Laufe der Jahre immer umfangreicher wurden. Allerdings ging es den Deutschen dabei nicht nur um freundschaftliche Kontakte, sondern sie bemühten sich auch, die ausländischen Kameraden davon zu überzeugen, daß sie Anspruch auf internationale Gleichberechtigung hatten, was Löffelbein als „Drohgebärde“ wertet.

Offenbar deuteten es die ausländischen Kriegsbeschädigten etwas anders, denn sie folgten in der Regel den Einladungen und luden umgekehrt ihre ehemaligen deutschen Gegner zu Gegenbesuchen ein. Zu Hunderten fuhren deutsche Kriegsbeschädigte nach Großbritannien, Frankreich und Italien, während große Gruppen ehemaliger britischer und französischer Soldaten Berlin besuchten und ihre Leiter von Hitler empfangen wurden. Löffelbein konstatiert, daß der jubelnde Empfang, der den Delegationen ehemaliger Gegner in Berlin und anderen deutschen Städten entgegengebracht wurde, der ehrlichen Überzeugung und dem verbreiteten Wunsch nach Frieden vieler Deutscher entsprach.

Besonders eindrucksvoll muß, wie selbst aus den distanzierten Darstellungen Löffelbeins hervorgeht, am 13. Juli 1936 der „Schwur von Verdun“ gewesen sein, als 30.000 Weltkriegssoldaten, unter ihnen Tausende Angehörige der NSKOV, vor dem Beinhaus des Fort Douaumont ein Gelübde für den Frieden („Pour la paix du monde“) abgaben und schworen, nie wieder gegeneinander Krieg zu führen. Dieses Symbol der Aussöhnung wertet Löffelbein allerdings als bloße Finte des NSKOV, um dem Ausland Sand in die Augen zu streuen und die Kriegspläne der Deutschen zu tarnen.

Führer der NSKOV war von der Gründung 1933 an bis zum Kriegsende der 1896 in München als Sohn wohlhabender Eltern geborene Hanns Oberlindober. Der Kriegsfreiwillige wurde 1918 als hochdekorierter Oberleutnant und Führer einer bayerischen Pionierkompanie schwer verwundet. Als „dauernd felddienstunfähig“ schied er aus dem Heer aus und wurde Kaufmann. Bereits 1922 trat er der NSDAP bei. Nach Löffelbein war Oberlindober ein begabter Redner und offenbar auch ein guter Organisator.

Nach Kriegsende fiel er den Amerikanern in die Hände, die ihn an die Polen auslieferten, wie Löffelbein schreibt, aufgrund einer Namensverwechslung. Die ließen ihn in einem Warschauer Krankenhaus Zwangsarbeit leisten und schlugen den schwer Kriegsbeschädigten am 6. April 1949 tot. 1951 sprach ihn die Münchner Hauptentnazifizierungskammer postum von einer Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes frei. „Er habe sich vielmehr seit 1930 in ‘anständiger’ Form für das Wohl der Kriegsopfer eingebracht“, zitiert Löffelbein und fügt mißbilligend hinzu, dadurch offenbare sich, „welcher politische Geist noch immer durch die Amtsstuben der jungen BRD wehte“.

Nils Löffelbein: Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkrieges in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus. Klartext Verlag, Essen 2013, gebunden, 494 Seiten, Abb., 36,95 Euro

Foto: Kriegversehrte aus dem Ersten Weltkrieg bei NSKOV-Kundgebung: Sozialer Sprengstoff

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