© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Pankraz,
J. Wegner und die Trolle im Internet

Als Troll bezeichnet man im Netzjargon eine Person, welche die Kommunikation im Internet fortwährend und auf destruktive Weise dadurch behindert, daß sie Beiträge verfaßt, die sich auf die Provokation anderer Gesprächsteilnehmer beschränken und keinen sachbezogenen und konstruktiven Beitrag zur Diskussion enthalten.“

So eine Eintragung bei Wikipedia über kritische Forumsbeiträge im Internet. Ohne die dem Text beigemischte Zensorgesinnung würde er etwa folgendermaßen lauten: „(…) eine Person, welche die Kommunikation im Internet kritisch und kontinuierlich begleitet, indem sie Beiträge verfaßt, die sich an die Diskussionsbereitschaft anderer Gesprächsteilnehmer wenden und der verhandelten Sache neue, bisher nicht thematisierte Aspekte und Interpretationen hinzufügen.“

Weshalb aber „Troll“? Das Wort kommt aus dem Altgermanischen und bezeichnete ursprünglich menschenähnliche, aber durchweg plumpe, eher mißgelaunte Waldgeister, auch „Waldschrate“ genannt, an die man damals glaubte und vor denen man Angst hatte. Andere Etymologen führen den Neologismus auf das englische „trolling“ zurück, mit dem man das Fischen mit Hilfe von Schleppangeln bezeichnet, die langsam von einem Boot durch das Wasser gezogen werden und in der Regel üppigen Fang einbringen.

Kritische Leserbriefschreiber im Internet sind demnach mißgelaunte Waldschrate, die trotz oder gerade wegen ihrer Plumpheit hohe Zustimmung in der Netzgemeinde erfahren, besonders wenn es um Fragen der „Political Correctness“ beim Kampf gegen Rechts, gegen Homophobe, Anti-Feministen und „Rassisten“ geht. Die Aufpasser und Verwalter der reinen Lehre in den Online-Redaktionen sind aufs höchste alarmiert und sinnen darüber nach, wie man die Trolle ausschalten kann, ohne dabei den Zensor allzusehr herauskehren zu müssen.

Die Süddeutsche Zeitung hat bereits in aller Form mitgeteilt, daß das „Forum“ ihrer Online-Ausgabe, also das, was in der Printausgabe traditionell „Leserbriefspalte“ heißt, künftig bei bestimmten Themen gesperrt oder nur in beschränktem Umfang geöffnet sei. Jochen Wegner, Leiter der Online-Redaktion der Zeit, führte kürzlich in einem langen Aufsatz bewegt Klage darüber, daß bestimmte Leser „über Nacht“, wo „unsere Redaktion das nicht gleich bemerkt“, das Forum mit wüsten, oft schlicht kriminellen Texten vollstopften, wobei sie „mehrere Identitäten“ benutzten. Einer dieser Trolle sei längst „einschlägig bekannt“!

Onlinechef Wegner: „Jeden Tag meldet er sich bis zu 30mal mit immer neuen Identitäten an, um extreme Beiträge zu allen nur erdenklichen Themen zu verfassen. Und wird immer wieder gesperrt (…) Solche Menschen motiviert nicht der Inhalt einer Debatte, sondern unsere entsetzte Reaktion auf ihr zerstörerisches Treiben. Do not feed the trolls!, lautet deshalb eine Grundregel, füttere die Trolle nicht! Was aber, wenn es so viele werden, daß wir sie nicht mehr ignorieren können? Wenn sie nicht so einfach zu erkennen sind wie die paar Irren in den Foren?“

Irgendwie läßt sich die Panik unserer Zensoren in den Medien nachvollziehen. Pankraz erinnert das Ganze an einen Vorgang aus dem Jahr 1985, als es schon einmal um Leserbriefe ging. Es fanden damals zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges im offiziellen Bonn besonders wüste, oft auch lügengesättigte Orgien von „Vergangenheitsbewältigung“ statt, und als Reaktion darauf erschienen in den „seriösen“ Zeitungen viele Briefe von Zeitzeugen, die maßvoll richtigstellten, eigene Erfahrungen erzählten. Aber schon das war den Zensoren zuviel, und der Deutsche Presserat sprach eine Rüge aus.

Jedoch, die gerügten „Leserbriefonkels“, wie sie liebevoll genannt wurden und die es in jener Zeit noch gab, ließen sich kaum ins Bockshorn jagen. Es waren in der Regel altgediente, mit allen Wassern des Gewerbes gewaschene Senior-Redakteure, die genau wußten, was man „draußen im Lande“ dachte und wie man schwarze von weißen Schafen unterscheiden konnte, sowohl bei den „Machern“ wie bei den Lesern. Viele dieser Onkels spielten gewissermaßen die Rolle von Ombudsmännern, die elegant für Ausgleich zwischen Redaktion und Leserschaft zu sorgen wußten.

Briefschreiber, die wirklich etwas Interessantes und Wichtiges mitzuteilen hatten, wurden von ihnen mit nachtwandlerischer Sicherheit getrennt von bloßen Krakeelern und Wichtigtuern oder auch von schlauen Schmeichlern und „bestellten“ Einsendern. Kampagnenreiter wurden auf Anhieb durchschaut, auch wenn sie anonym und unter wechselnden Identitäten aufkreuzten. Insofern war die Rüge des Presserats geradezu eine Beleidigung für die Kunst der Leserbriefonkel.

Heute nun gibt es, zumindest im Internet, keine solchen Onkels mehr, nur noch „verantwortliche“ Onlinechefs, die ihrerseits vor einer Menge aushäusiger Gewalten zu kuschen haben, mächtigen Politikern, internationalen Großlobbyisten. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ihnen auf Leserseite moralisch gleichwertige, zudem im Internet geübte Nutzer entgegentreten, darunter wohl auch dieser oder jener Krawallmacher oder gar Saboteur, in ihrer Mehrheit aber zweifellos echte, leidenschaftliche Kritiker und eben deshalb erfolgreiche Schleppangler, die im Volk immer mehr Zustimmung finden.

Man sollte endlich zur Kenntnis nehmen, daß es keineswegs stets so aus dem Wald herausschallt, wie man hineinruft, und daß das keineswegs nur an den Trollen liegt, die dort wohnen. Ein Medium, das allen Ernstes glaubt, es brauche – da die Alphatiere in den Medien sich ja alle einig sind – auch einen Einheitsleser nebst politisch korrekter Leserbriefspalte, beziehungsweise korrektem Internetforum, liegt falsch und wird Auflage verlieren.

„Eine Zeitung,“, konstatierte einst der legendäre Medienpapst Theodor Wolff, „braucht, um gut zu sein, auch gute Gegner.“ Hinzuzufügen wäre dem: Eine im Sinne von PC begradigte Forumspalte macht eine Online-Zeitung eindeutig schlechter, und so auch ihre Gegner.

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