© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Die Trendwende ist da
Ölpreis: Fracking sorgt für niedrigere Erdölpreise, was einige Produzenten und Finanzämter verärgert
Markus Brandstetter

Seit drei Monaten fällt der Ölpreis. Im Januar 2014 kostete ein Faß (120 Liter) der Sorte Brent am Londoner Spotmarkt noch 108 US-Dollar. Bis zum 19. Juni stieg der Preis dann auf 115 US-Dollar. Das war der Höhepunkt in diesem Jahr, der seitdem nie mehr erreicht wurde.

Seit dem 20. Juni sinkt der Erdölpreis nun so rasch, wie er seit fünf Jahren nicht mehr gefallen ist. Bis zum 6. November ist der Ölpreis von 115 US-Dollar auf 83 US-Dollar gefallen. Der wichtigste Energierohstoff der Welt hat also binnen vier Monaten 26 Prozent seines Wertes eingebüßt. Nach den Voraussagen der Terminmarktbörse rechnen die Weltmärkte mit keiner schnellen Erholung des Preises, sondern mittelfristig eher mit einer Stabilisierung auf einem Niveau von 80 US-Dollar je Barrel.

Das ist überraschend, denn seit dem Jahr 2000 ist der Ölpreis im Jahresdurchschnitt immer nur gestiegen. Lag der Preis im Jahr 2000 noch bei knapp 28 US-Dollar je Barrel, stieg er bis 2008 kontinuierlich auf 97 US-Dollar. Gewiß, 2009 und 2010, in den Jahren nach der Weltfinanzkrise, fiel der Preis wieder auf 61 und 80 US-Dollar im Jahresdurchschnitt, aber 2011 war Schluß damit. Dann kletterte der Preis auf 111 US-Dollar und verharrte auf diesem Niveau bis zum Juni dieses Jahres.

Saudi-Arabien senkt die Preise – für die Amerikaner

Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Kurzfristige und langfristige Faktoren sind zu unterscheiden. Zuerst die kurzfristigen. Hier spielte es eine Rolle, daß das vom Krieg zerrissene Libyen im September um circa 40 Prozent mehr Öl gefördert hat als in den Monaten davor. Damit war nicht zu rechnen, also hatten die Märkte es auch nicht erwartet – und es sind gerade die unerwarteten, plötzlichen Veränderungen, die die Preise absacken oder aber in die Höhe schießen lassen.

Der zweite kurzfristige Grund liegt im Entschluß der Saudis, die Preise für Öl aus Saudi-Arabien im amerikanischen Markt zu senken. Saudi-Arabien ist der zweitgrößte Erdölproduzent der Welt und vollkommen vom Ölpreis abhängig. Und eben weil für die Saudis alles am Öl hängt, versuchen sie seit Jahrzehnten, seinen Preis zu beeinflussen. Deshalb haben sie sich selbst zum „Swing-Producer“ (engl. Ausgleichsproduzent) der Welt erklärt und agieren auch als solcher. Ein Swing-Produzent ist ein Lieferant, der Überschüsse ebenso wie Löcher in der Produktion anderer Erdölproduzenten ausgleicht. Wenn also die Preise für Erdöl auf der Welt aus Sicht der Saudis zu stark steigen, weil zum Beispiel im Irak oder in Libyen durch Krieg und Aufstände die Produktion zurückgeht, dann kommen die Saudis und pumpen mehr Öl aus ihrem Boden, um die Versorgung zu stabilisieren und die Preise niedrig zu halten. Werfen hingegen andere Länder kurzfristig zuviel Erdöl auf den Markt, was zu einem Verfall der Preise führen würde, dann drosselt das saudische Königreich die Produktion, damit die Preise wieder anziehen.

Nun haben sich jedoch langfristig einige Faktoren geändert, die auch die Saudis nicht mehr beeinflussen können: Dazu gehört zuerst einmal die Tatsache, daß moderne Autos um circa ein Viertel weniger Benzin oder Diesel verbrauchen als die älteren Modelle. Das hat die Nachfrage reduziert und den Ölverbrauch weltweit gesenkt.

Der zweite, wichtigere Faktor heißt Fracking. Mit diesem Verfahren wird Erdöl und Erdgas aus tiefliegenden Gesteinsschichten herauslöst. Dazu werden unter hohem Druck große Mengen an Wasser und Sand zusammen mit einem Chemikalien-Cocktail in die Gesteinsschichten eingepreßt (JF 44/14). Weltmeister im Fracking sind die US-Amerikaner, die das Verfahren vor 30 Jahren erfunden haben. Seit Fracking vor fünf Jahren in den USA in großem Stil begann, sind die USA – vor Saudi-Arabien und Rußland – zum größten Erdölproduzenten der Welt aufgestiegen und exportieren erstmals seit 1973 wieder Erdöl.

Solche Investitionen kosten immer viel Geld

Investitionen in Erdölförderanlagen sind immer langfristig. Sie kosten eine Menge Geld. Und es dauert 15 oder 20 Jahre, bis sie sich amortisiert haben. Darum ist es wenig wahrscheinlich, daß die US-Erdölkonzerne, die ins Fracking eingestiegen sind, rasch einen Rückzieher machen. Sind die Anlagen einmal gebaut, dann müssen sie auch kontinuierlich laufen, was bedeutet: Die Amerikaner werden auch in zehn Jahren noch viel Erdöl produzieren und exportieren, was die Preise weltweit beeinflussen wird.

Welche politischen Auswirkungen könnte ein dauerhaft tieferer Ölpreis haben? Am stärksten wird diese Entwicklung Venezuela und den Iran treffen, zwei Länder, deren Volkswirtschaften eng mit dem Erdölpreis verknüpft sind. Beide Länder brauchen Erdölpreise von 100 US-Dollar, um ihre defizitären Haushalte finanzieren zu können. Dauerhaft tiefe Erdölpreise könnten in beiden Ländern zu politischen Unruhen führen. Rußland, dessen Exporte hauptsächlich Erdöl und Erdgas ausmachen, würde unter einem dauerhaft tiefen Erdölpreis ebenfalls leiden. Mit einem gegenüber dem US-Dollar fallendem Rubel und einem finanziellen Polster aus den guten Zeiten jedoch kann das Land zwei, drei Jahre mit niedrigen Ölpreisen durchaus leben.

Die Deutschen haben nichts davon

Am wenigsten Auswirkungen haben tiefere Erdölpreise für die Autofahrer an der Tankstelle. Während der Ölpreis seit Juni um 26 Prozent fiel, sanken die Benzinpreise an den Tankstellen gerade mal um drei Prozent – ein Rückgang, der von den steigenden Stromkosten vollkommen kompensiert wird. Dafür verantwortlich sind nicht nur die Ölkonzerne, die einen Preisrückgang beim Rohöl nie eins zu eins an den Verbraucher weitergeben, sondern hauptsächlich der Finanzminister. Rund 88 Cent Steuern stecken im Preis für jeden Liter Benzin. Und die sind immer fix – egal, was das Rohöl kostet.

Foto: Ölförderung in Rumänien: Kleinere Ölförderstaaten gehören zu den Verlierern der Preisentwicklung

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