© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Auf verlorenem Posten
USA: Nach dem Debakel bei den Kongreßwahlen wird Präsident Obama versuchen, sein historisches Vermächtnis zu gestalten, doch sein Einfluß wird von Monat zu Monat schwächer
Elliot Neaman

Barack Obama ist ein einsamer Präsident. 2008 versprach er den Wählern Wandel und Hoffnung, baute die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus aus und sorgte für einen Umschwung im Senat, der seiner Partei eine knappe Mehrheit von 51 zu 49 Sitzen verschaffte – eine Machtbasis, von der die meisten US-Präsidenten nur träumen können. Bei den Kongreßwahlen 2010 verlor er das Repräsentantenhaus, bei den diesjährigen Kongreßwahlen nun auch den Senat. Diesmal baten demokratische Kandidaten den Präsidenten nicht einmal mehr um Schützenhilfe im Wahlkampf. Stattdessen sprangen Bill und Hillary Clinton ein – vergeblich. In Clintons Heimatstaat Arkansas erlitt der demokratische Senator Mark Pryor ebenso eine Wahlschlappe wie die meisten anderen demokratischen Kandidaten. Obama sitzt nun mit seiner Vetomacht mutterseelenallein im Weißen Haus.

Im Laufe seiner Präsidentschaft warfen Kritiker Obama immer wieder seine Unfähigkeit oder Unwilligkeit vor, sich in die Niederungen des politischen Alltagsgeschäfts zu begeben. Obama hat niemals persönliche Beziehungen zur demokratischen, geschweige denn zur republikanischen Führungselite im Kongreß geknüpft. Anders als Vorgänger wie Lyndon Johnson, Ronald Reagan und selbst George W. Bush sucht er nicht das Gespräch mit den Männern und Frauen, die in der Legislative das Sagen haben. Statt dessen hat er sich nach Meinung vieler zunehmend als überheblicher oder gar arroganter Machtmensch erwiesen.

Er ist imstande, seine Ansichten rhetorisch überzeugend zu vertreten, hat jedoch kein Interesse, sich auf den Nahkampf einzulassen, der erforderlich ist, um sie auch durchzusetzen. Von Johnson heißt es, ein Mitarbeiter habe ihm einst einen Entwurf für eine ziemlich radikale Bürgerrechtsklausel gezeigt, der selbst bei den konservativeren Gemütern in der eigenen Partei auf Ablehnung gestoßen wäre. Nach der Lektüre blickte er auf und fragte: „Wollen Sie Streit vom Zaun brechen oder einen Gesetzentwurf durchsetzen?“ Obama, so hat es den Anschein, will lieber Streit.

Nachdem der Urnenstaub sich gelegt hatte, hatten die Republikaner sieben Senatssitze dazugewonnen, was ihnen gegenüber den Demokraten erst einmal eine Mehrheit von 52 zu 43 verschaffte. Im Repräsentantenhaus verzeichneten die Republikaner ebenfalls einen beträchtlichen Zugewinn von 15 Sitzen und verfügen nun über eine Mehrheit von 243 zu 179 Sitzen, die größte seit der Zwischenkriegszeit. In den Südstaaten kam es mit Wahlsiegen in allen sieben Gouverneurswahlen und breiten Zugewinnen in den Legislativen der einzelnen Bundesstaaten zu einem regelrechten republikanischen Tsunami. Die Tea-Party-Bewegung spielte dabei kaum eine Rolle, nachdem die Parteispitze dafür Sorge getragen hatte, daß ihre Kandidaten bereits in den Vorwahlen unschädlich gemacht wurden.

Am Tag nach der Wahl sprachen sowohl der Mehrheitsführer im Senat Mitch Mc Connell und Präsident Obama mit versöhnlichen Tönen von einer Zusammenarbeit bei der Verabschiedung von Gesetzen. Sie wissen beide, wie unzufrieden die Wähler mit beiden Parteien sind. Einer kürzlich durchgeführten Umfrage zufolge sind Kakerlaken bei den Amerikanern beliebter als der Kongreß. Es ist nicht unvorstellbar, daß sich in einigen Fragen Einigungen erzielen lassen, so etwa bei der Senkung der Unternehmenssteuer, kleineren Änderungen am Einwanderungsgesetz und der Unterzeichnung von neuen zwischenstaatlichen Handelsabkommen. Jedoch ist keine Seite sonderlich daran interessiert, Kompromisse zu schließen. Die Republikaner haben ihren Sieg, der ihnen eine nahezu beispiellose Machtposition verschafft, wohl zu Unrecht als Zeichen ausgelegt, daß ideologische Standfestigkeit bei den Wählern besser ankommt als parteiübergreifende Zusammenarbeit. Fast ein Dutzend republikanische Senatoren erwägen eine Anwartschaft auf die Präsidentschaftskandidatur für 2016 und sind eher darauf erpicht, ihre Stammwählerschaft anzusprechen, als gemeinsam mit den Demokraten Gesetze zu verabschieden. Bei den Demokraten, wo sich Politiker zur Linken von Hillary Clinton als Herausforderer in Position bringen, sieht es nicht anders aus.

Entsprechend werden die nächsten zwei Jahre weniger von Regierungsarbeit als von Wahlkampfvorbereitungen geprägt sein. Aller Voraussicht nach werden drei republikanische Hardliner den Vorsitz in drei wichtigen Senatsausschüssen – außenpolitische Beziehungen, Energie und Justiz – übernehmen: John McCain, Jim Inhofe und Chuck Grassley. McCain fordert ein sehr viel aggressiveres Vorgehen gegen den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak, Inhofe hält Erderwärmung und Klimawandel für eine linksliberale Erfindung, und Grassley gilt in Rechtsfragen als erzkonservativ.

Die anfängliche Begeisterung ist Geschichte

Es steht zu erwarten, daß McCain Anhörungen mit dem hauptsächlichen Ziel inszenieren wird, Obama in Verlegenheit zu bringen: zu Bengasi, den NSA-Enthüllungen, den erbärmlichen Zuständen in Krankenhäusern für Kriegsveteranen und anderen Fehlern und Versäumnissen der Obama-Regierung. Inhofe wird Vertreter der Umweltschutzbehörden vor seinen Ausschuß zerren und Grassley die Ernennung zahlreicher Richter so lange wie möglich hinauszögern.

Derweil wird Obama die letzten zwei Jahre seiner Präsidentschaft dazu nutzen, sein historisches Vermächtnis zu gestalten, während sein Einfluß mit jedem Monat, der verstreicht, schwächer wird. Einige seiner Vorgänger konnten in ihren letzten Jahren noch Erhebliches erreichen. Obama jedoch wird hauptsächlich bemüht sein, die bereits erzielten Ergebnisse – insbesondere seine einzige größere Errungenschaft, nämlich die allgemeine Krankenversicherung – zu sichern, anstatt neue Initiativen in die Wege zu leiten. Ganz offenbar hat er auch nicht begriffen, daß der überwältigende republikanische Wahlsieg selbst in Staaten wie Colorado und Virginia eine vernichtende Kritik an seiner Präsidentschaft ist.

Andere Präsidenten haben nach Verlusten bei den Kongreßwahlen teils drastische Maßnahmen ergriffen und ihr gesamtes Kabinett umbesetzt. Obama hat bislang keinerlei Anstalten gemacht, irgendwelche größeren Änderungen vorzunehmen. Von der Begeisterung, die ihn 2008 umgab, ist selbst im Rückspiegel kaum noch etwas zu erkennen.

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